Im Schatten der Tosca
renovieren und dort einzuziehen, dann konnten Massimo und Martina nach der Heirat den oberen Stock übernehmen.
Als Elia Carlos davon erzählte, reagierte er merkwürdig vage, er tat so, als ginge ihn das alles nichts an. Elia war darüber verblüfft gewesen – aber sie spürte dahinter auch seine Angst. Wovor? Wahrscheinlich fühlte er sich überrumpelt und brauchte erst einmal Zeit, die Angelegenheit zu verdauen, sie selbst hatte sich auch nur langsam an die Idee mit dem Kinderkriegen herangepirscht und war sich auch jetzt noch keineswegs sicher. Besser, das Thema fürs Erste fallen zu lassen, sonst gab es womöglich Streit, schließlich waren sie beide Hitzköpfe.
Im Laufe der Jahre waren Elia und Carlos auf der Bühne immer mehr zum idealen Paar zusammengewachsen. Sie profitierten beide voneinander, Elia womöglich noch mehr von Carlos als er von ihr. Niemals drängte er sich beim Singen vor, und immer noch achtete er auf Elias alte und neue Marotten, denn die gab es auch. Der wachsende Ruhm hatte auch bei ihr seine Wirkung getan: Ihre Versuchung war der Perfektionismus.
Wenn alles längst prächtig gelang, konnte es sie plötzlich überkommen, dann wollte sie weiter feilen und schleifen, hier noch etwas probieren, dort noch ein Licht aufsetzen, bis das gerade noch so Lebendige starr und tot zu werden begann. Sie tat das so ernsthaft und beflissen und mit solcher Überzeugungskraft, dass sich die anderen manchmal auch verwirren ließen. Umso froher waren alle, wenn Carlos herzlich-beherzt Elia dazu brachte, von ihrem Perfektionierungswahn abzulassen.
In ihrem Leben jedoch waren Elia und Carlos immer wieder in Turbulenzen geraten. Sieben Jahre kannten sie sich nun schon, und seit sechs Jahren waren sie ein Liebespaar. Ach, es war nicht leicht, eine so zerstückelte, unbehauste, beruflich überfrachtete Liebe zu leben. Jetzt aber, in Venedig, wollten sie wieder so richtig in Romantik schwelgen, Gondelfahrten, laue Vollmondnächte, je kitschiger, desto besser, da waren sie sich einig. Und die ›Traviata‹ würde sie nicht daran hindern, sie hatte ihnen immer Glück gebracht, als stünde sie unter Ferdinands freundlichem Schutz. Elia wunderte sich selbst, wie unbeschwert sie als Violetta an ihn denken konnte.
Und dann kam alles anders: Gleich am ersten Abend verschlang Elia ein Dutzend prachtvoller Austern, und kurz darauf wurde ihr zum Gotterbarmen schlecht, zwei Tage lang quoll schwallartig aus ihr heraus, was sich jemals in ihren Eingeweiden angesammelt haben mochte, und als längst nichts mehr da war, kam immer noch die schiere Galle.
Dann war dieser Spuk vorbei. Etwas wacklig auf den Beinen, vollgepumpt mit Medikamenten, nahm Elia das unterbrochene Venedigprogramm wieder auf, von einer verdorbenen Auster ließ sie sich nicht den Spaß verderben. So lustig war es schon lange nicht mehr zugegangen, alle, am meisten Carlos, trugen Elia auf Händen und fanden, noch nie sei sie als Violetta so edel dahingewelkt.
Irgendwann konnte Elia nicht umhin zu merken, dass ihre Periode eine ganze Weile überfällig war. Zunächst schob sie die Verzögerung auf die Austernvergiftung, die wahrscheinlich auch die Wirkung der Pille durcheinandergebracht hatte, aber bald ertappte sie sich dabei, wie sie in ihren Körper hineinlauschte. Eine stille Aufmerksamkeit, die ständig zunahm und sich veränderte, hin zu einer zarten Hoffnung: Und wenn sie schwanger war?
Sie hatte diesen Gedanken noch kaum gedacht, da durchströmte sie auch schon ein elementares Glücksgefühl. Alles war vollkommen stimmig. Hatte sie darauf gewartet, wie langeschon, ohne es zu ahnen? Sie saß da, mit geschlossenen Augen, ihr Körper wurde weit und durchlässig, nichts dachte mehr, nur das Glücksgefühl hielt an.
Dann kam Carlos, das Luftige, Lichte verfestigte sich und nahm wieder Gestalt an, die Gedanken kehrten zurück. Wie würde Carlos es aufnehmen, was sie ihm jetzt sagen wollte?
Seine Reaktion ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: »Nein, um Gottes willen!« Und das mit finster gerunzelten Brauen, ehrlich entsetzt.
Normalerweise hätte Elia auf der Stelle ihre Seelenrollläden heruntergelassen und sich dahinter verkrochen, aber sie hielt tapfer stand, es ging jetzt um jedes Wort. Carlos wollte wohl einlenken und machte alles noch schlimmer: »Elia, deine Karriere, das ist Wahnsinn! Ein Kind, du machst dir alles kaputt.« Da Elia schwieg, stammelte er weiter: »Du bist jetzt dreißig, du kannst noch lange Kinder kriegen. Aber
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