Im Schatten der Tosca
er nichts Vergnügliches zu berichten, ganz im Gegenteil: Martina sollte in Rom die Mimi singen und war am Tag zuvor während der Probe zusammengebrochen. Sie lag noch in der Klinik, und Massimo wollte an diesem Abend noch bei Umberto vorbeikommen.
»Ich hatte sie eine Zeitlang nicht gesehen und bin richtig erschrocken, als sie hier vor ungefähr zwei Wochen aufgetaucht ist, ganz zerbrechlich und blass wie ein Porzellanpüppchen. Aber sie war vergnügt und hat sich sehr auf die Zeit mitMassimo gefreut, die beiden sind rührend, wie die Turteltauben«, erzählte Umberto besorgt.
Schließlich kam Massimo. Über Elias Anwesenheit schien er sich nicht zu wundern, er nahm sie kurz in die Arme: »Ah, ja, gut, dass du da bist«, dann ließ er sich auf einen Stuhl fallen, wie zu Tode erschöpft. Wortlos, in sich zusammengesunken, starrte er vor sich hin. Irgendwann hob er den Kopf und sagte, die Augen ins Leere gerichtet: »Martina hat Leukämie.«
Leukämie! Die lustige, kesse Martina, mit einunddreißig Jahren. Darum hatte sie von Müdigkeit geredet und sonderbare Schwäche verspürt. Nicht weil sie zu viel gearbeitet oder Erkältungen nicht auskuriert hatte. »Ich bin ein richtiges Glückskind! Glück in der Liebe, Glück im Beruf, und plötzlich beides zusammen. Aber pscht, sonst werden die Götter neidisch«, hatte sie beim letzten Treffen zu Elia gesagt und schnell auf Holz geklopft.
Martina war verloren. Massimo machte sich keine Illusionen. Endlich schaute er Elia und Umberto an und sagte streng: »Martina weiß es nicht. Ich hole sie morgen aus der Klinik, dann wird sie weiterproben. Ich werde denen in der Oper irgendetwas erzählen, dass man sie so gut wie möglich schont, das darf ich als Arzt, und zudem kenne ich sie alle. Mit Gottes Hilfe wird sie ihre Vorstellungen singen. Sie soll niemand etwas anmerken, das ist das Einzige, was wir für sie jetzt tun können.«
Elia blieb noch eine Woche in Rom. Vor dem ersten Wiedersehen mit Martina fürchtete sie sich, aber dann überließ sie sich dem innigen, warmen Gefühl der Freundschaft, von dem sie spürte, wie es in ihrem Herzen aufquoll. Dadurch wurde alles ganz licht und leicht, einfach und natürlich, wie sie es im Umgang mit einem anderen Menschen kaum je empfunden hatte, nicht einmal bei der Liebe. Auch die letzten Schutzmechanismen in Elias empfindlichem Gemüt schienen plötzlich ausgeschaltet, vielleicht, weil Martina so wunderschön aussah,ganz durchscheinend, wie ein heller, von innen leuchtender Engel.
Wusste Martina wirklich nicht, wie es um sie stand? Massimo getraute sich kaum, Martina längere Zeit allein zu lassen. Er hatte sich in die hinterste Loge verzogen, und manchmal hielt er es auch da nicht aus, dann rannte er wie ein Wahnsinniger den Wandelgang entlang. »Was soll ich machen?«, keuchte er. »Soll ich ihr sagen: Hör auf, du wirst selbst bald sterben? Seit einem Jahr wartet sie darauf, hier die Mimi zu spielen und dass wir zusammen sein können. Und noch hält sie durch, sie hat einen enorm starken Willen.«
Das Einzige, was Elia tun konnte, war, bei Massimo zu bleiben und nicht schluchzend davonzulaufen.
Aber dann war die Woche um, und wenn es ihr auch schrecklich erschien, den Freunden nicht länger beistehen zu können, war sie doch erleichtert, die Premiere nicht miterleben zu müssen. Von ihrem Kummer mit Carlos hatte sie zu niemand ein Wort gesagt. Was wog der schon neben der Not ihrer Freunde? Und doch nagte er an ihrem Herzen. Verstört machte sie sich auf die Reise nach Glyndebourne.
In England wurde sie höchst ehrerbietig empfangen. Sie musste sich um nichts kümmern, ehe sie es sich versah, schwebte sie schon im Fond eines silbergrauen Rolls-Royce durch eine saftiggrüne Hügellandschaft. Rolls-Royce, ein Wagen für schwerreiche Mumien, so hatte sie immer gespöttelt, doch wie er so wunderbar ruhig und fast lautlos die Straße entlangzog, das hatte schon Klasse. Auch die edle Innenausstattung imponierte ihr, als Autonärrin revidierte sie bereitwillig ihr Vorurteil. Der Chauffeur trug eine ähnlich graue Uniform wie der Vater. Na, Papa, was sagst du zu dem Ganzen, dachte sie. Zum ersten Mal während der Fahrt huschte ein kurzes Lächeln über ihr Gesicht. Diese kleinen Zwiegespräche waren ihr so zur Gewohnheit geworden, dass sie sie nicht mehr bemerkte.
Elia war in einem ehemaligen Gutshof untergebracht, in einem eigenen Cottage. Dort knisterte im gemütlichen Wohnraum bei ihrer Ankunft bereits ein Feuer im Kamin. Auf
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