Im Schatten der Tosca
schiefgegangen.«
Einmal hatte Jens Arne Elia und Carlos zu sich nach Hause eingeladen. Enrico und Nora waren an diesem Abend nicht in London, möglicherweise kein Zufall, denn die Einladung fand unübersehbar zu Ehren von Elia statt. Es war eine kleine, erlesene Runde, der schwedische Botschafter und seine Frau, die Elia aus Stockholm kannte, und ein schnurrbärtiger Lord mit Gattin.
Die Wohnung von Jens Arne lag am Hyde Park und schien riesengroß, an den wohl vier Meter hohen Wänden hingen Bilder von Schlachten, Rössern und Hunden, dazwischen liebliche Maiden und Knaben, Gobelins und Stillleben, eine reichlich steife, düstere Pracht, zu der auch livrierte, weiß behandschuhteDiener gehörten, die hinter den Stühlen standen und lautlos auf das Wohl der Gäste achteten.
In den sogenannten »feinen« Kreisen fühlte sich Elia immer noch recht unbehaglich, sie verkrampfte, und das schlug ihr gleich auf die Stimme, sie wurde regelrecht heiser. Vielleicht auch, weil sie nicht recht wusste, was sie mit diesen Leuten reden sollte. Meist verstanden sie nicht viel von Musik, und die internen Klatschgeschichten waren Elia schnuppe. Ging es um die neuesten Bücher oder Kunstausstellungen, hatte sie das Gefühl, sich nicht gut genug auszukennen, sie ahnte nicht, dass das noch lange kein Grund war, nicht munter mitzuschwafeln.
Doch an diesem Abend fand eine ganz vernünftige Unterhaltung statt, und auf so höflich-nette Art umschmeichelt zu werden, dagegen war auch nichts einzuwenden. »Sie müssen unbedingt einmal in Glyndebourne singen«, meinte der Lord, auch die Schweden waren entzückt: »Oh ja, die Landschaft, die Leute, einfach hinreißend.« Jens Arne griff den Gedanken sofort auf: »Ja, ›Figaro‹, die Gräfin.« Carlos fühlte sich gleich ausgeschlossen, darum murrte er: »Für mich gibt es da wohl nichts zu tun.« – »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht widersprechen. Allenfalls den Basilio, den möchte ich Ihnen nun wahrlich nicht zumuten«, stellte Jens Arne kühl fest. Carlos nahm es mit Humor: »Vielleicht rutscht mir die Stimme noch tiefer und ich darf den Doktor Bartolo singen.«
Auf dem Heimweg mokierte sich Carlos über den Abend: »Wie eine Gruft, so steif und ungemütlich, und diese Riesenschinken überall an den Wänden und diese Diener. Und der Lord samt Gattin ist wohl einer Boulevardkomödie entsprungen, das reinste Panoptikum. Aber dich hat man mächtig flattiert, und das hat dir gefallen, nicht wahr?«
Elia grinste zufrieden, sollte Carlos ruhig einmal merken, wie man mit ihr manchmal umsprang. Zum Beispiel bei ihrem ersten Aufenthalt in seinem Heimatland Spanien. Da wurde Carlos wie ein Nationalheld gefeiert, und an sie hattenbestenfalls die Unglücklichen das Wort gerichtet, denen es nicht gelungen war, zu ihrem Abgott vorzudringen. Nun gut, das hatte sich inzwischen gründlich geändert: Die beiden zusammen bildeten das absolute Traumopernpaar.
Vielleicht waren die Spanier noch opernnärrischer als die Italiener, dachte Elia. Aber es gab schon einiges, was ihr in diesem Land nicht gefiel, besonders das Getue der Männer um Ehre und Stolz, das sie schon bei den Süditalienern abstoßend gefunden hatte. Doch vieles faszinierte sie auch. Vor allem das Wilde, Raue, Unbändige, auf das sie überall stieß, in den Tänzen, den Liedern, sogar in den Landschaften. Vielleicht sollte sie hier nach einer Bleibe für sie und Carlos suchen. Als sie von einem kleinen Obstgut an der Costa del Sol erfuhr, gelang es ihr sogar, ihn zu einer Besichtigung zu überreden. Vor Ort stapfte er eine Weile hinter Elia und dem alten Bauern her, der dort als Faktotum nach dem Rechten sah. Schließlich kletterte Carlos ein paar Stufen hoch zu einem halbzerfallenen Turm und sah von dort auf das Meer. Und dann, Elia traute ihren Ohren kaum, nickte er: »Ja, wunderbar, nehmen wir es doch.« Das war es dann auch schon.
Gezahlt hatte Carlos, jetzt gehörten ihm ein paar Ziegen und Orangenbäume. Was er damit anfangen sollte, war ihm schleierhaft. Mit der Zeit gewann Elia den Eindruck, das Ganze sei für ihn ein Klotz am Bein, und sie fühlte, wie auch ihr der Schwung abhandenkam.
Zu Beginn ihrer internationalen Karriere hatte auch Elia andere Sorgen gehabt als den Erwerb eines Landsitzes. Da war es für sie um die Eroberung weiterer Bastionen der Opernwelt gegangen, und außer dem Singen hatte es für sie allenfalls noch Carlos gegeben. Sie war auch ehrgeizig und wollte Erfolg haben, doch nicht als reine
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