Im Schatten der Tosca
doch nicht jetzt.«
Elia nickte, ihre Augen wurden zu Schlitzen, sie hielt es nun doch nicht mehr aus. Schon unter der Tür warf sie ihm noch hin: »Hab keine Angst, wahrscheinlich ist alles falscher Alarm.« Carlos schnappte danach wie ein Hund nach einem Knochen: »Hoffentlich.« Oh, war das kläglich, erbärmlich, aber auch gedankenlos und brutal. Merkte er nicht, wie sehr er Elia verletzte und kränkte? Aber was hatte sie erwartet? Dass Carlos sich mit ihr freute? Dass er sie in die Arme nahm, zärtlich und vergnügt? Warum eigentlich nicht? War das zu viel verlangt? Offenbar ja, wenn es um ein Kind ging, war sie nicht die richtige Frau für ihn! Diese Erkenntnis tat so weh und war so grundlegend wichtig, dass alles Übrige in den Hintergrund trat, auch ihre Wut und Enttäuschung. Vor Traurigkeit fühlte sich Elia wie gelähmt. Wie sollte es weitergehen mit ihnen? Wenn sie wirklich schwanger war, würde sie das Kind bekommen, das war das Einzige, was Elia wusste.
Nur ein ganz neues, unbekanntes Gefühl hinderte sie daran, vollends willenlos und fast wohlig in ihrer Mattigkeit und Trauer zu versinken: Misstrauen, wenigstens eine Spurdavon. Was trieb Carlos eigentlich in den Wochen und Monaten, in denen sie nicht zusammen waren? Darüber hatte Elia noch niemals nachgedacht, für sie selbst war es so absolut undenkbar, ein Techtelmechtel mit einem anderen Mann zu beginnen.
Aber Carlos und sein bewundernder Damenflor? Die reichen Argentinierinnen? Oder die undurchsichtigen Spanierinnen? Einmal war er in letzter Minute in seine Garderobe gehuscht, und als sie sich noch rasch beim »Toi, toi, toi« über die Schulter spuckten, war ihr ein mit Schminke übertünchter Kratzer an seinem Hals aufgefallen. »Die neurotische Siamkatze von Freunden, sie kann fremde Männer nicht leiden«, hatte Carlos lachend abgewinkt, dann mussten sie schon auf die Bühne.
Nach der Vorstellung war eine Dame aus der Madrider Society an der Seite ihres Gatten, eines Ministers, hinter die Bühne gekommen. Den drahtig hageren Leib raffiniert in hochgeschlossenes Schwarz gehüllt, die Haare straff zum lackschwarzen Knoten gebunden, kohlschwarz auch die Augenbrauen und Augen in dem blassen Gesicht. Und an den auffallend kleinen Ohren riesige weiß schimmernde Perlen, nichts als schwarz oder weiß und mittendrin ein blutrot geschminkter Mund. Starr und kalt, mit dem glühenden Blick einer El-Greco-Heiligen, bei dem auch nicht feststand, ob ihn himmlische Verzückung oder heimliches Laster zum Leuchten brachte. Mitten in die förmliche Unterhaltung hinein hatte die Dame plötzlich auf Carlos’ Hals gestarrt, ohne zu zögern ihr schwarzes Täschchen aufgeklappt, ein schneeweißes Taschentuch entnommen und mit den Worten: »Oh, pardon, Sie gestatten?« einen Blutstropfen abgetupft, kühl und sachlich. Carlos hatte etwas von »Rasieren« gemurmelt, und der Gatte trocken gemeint: »Ja, wir Männer leben gefährlich.« Elia war verblüfft gewesen. Eine kleine Szene von wenigen Augenblicken, Elia hatte sie längst wieder vergessen. Jetzt plötzlich fiel sie ihr ein.
Doch auf der Bühne stellte sich das alte Vertrauen wieder ein, und Elia war froh, Carlos an ihrer Seite zu wissen. Schon vor Beginn der Vorstellung hatte sie im Bauch und in der Brust ein unangenehmes Ziehen verspürt, das sogar auf die Stimme ausstrahlte und sie im Ansatz etwas trüb und schwerfällig machte. Wie Elia damit umging, klang es wie ein bewusst eingesetztes Stilmittel, die Schwindsucht der armen Opernheldin erwies sich als wahres Glück.
Mitten in der Sterbeszene merkte Elia, wie ihr das Blut zwischen den Beinen hervorschoss. Für einen Augenblick war es ihr, als entweiche auch ihr der letzte Lebensfunke. Dann riss sie Violettas Dienerin den Schal aus der Hand und schlang ihn sich um die Hüften, es kam ihr vor, als wäre ihr weißes Kleid bereits rot durchtränkt. Und während sie als Violetta in Alfredos Armen starb, erlosch für Elia der Traum von einem Kind, das sie und Carlos zusammen haben würden.
Noch war ihre Liebe nicht wirklich zu Ende – aber sie hatte keine Zukunft mehr. Im verflixten siebten Jahr, in der Stadt der Liebe, hatte das Schicksal die Geduld mit Elia und Carlos verloren.
Zurück in Rom brauchte Elia einen verständnisvollen Freund, um sich auszuweinen. Da Mariana und auch Gwendolyn verreist waren, ging sie zu Umberto, etwas Tröstlicheres als seine Pasta, zumal garniert mit Späßen und Schnurren, ließ sich kaum denken. Diesmal jedoch wusste
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