Im Schatten der Vergeltung
hatte, entsprach der Wahrheit.
»Du musst dich hinlegen«, sagte er mit einem besorgten Blick auf den blutgetränkten Notverband. »Wenn du erlaubst, bringe ich dich nach oben.«
»Philipp, warte einen Augenblick. Es gibt etwas, das du wissen musst!« Beschwörend sah Maureen in seine Augen und flüsterte: »Sieh dir Linnleys Rücken an und du wirst verstehen.«
Erstaunt runzelte Philipp die Stirn, trat dann aber zu David Linnley, der keinen Protest erhob, als ihm der feuchte Rock von den Schultern genommen wurde. Scharf zog Philipp die Luft ein. Schnell legte er Linnley das Kleidungsstück wieder um. Frederica trat an seine Seite.
»Bleibt sie hier?«, fragte sie laut und vernehmlich. Alle konnten den Zweifel in ihrer Stimme hören.
»Deine Mutter ist verletzt«, entgegnete Philipp. »Ich werde sie in ihr Zimmer bringen. Vielleicht hättest du die Freundlichkeit, in der Zwischenzeit einen Raum für Sir David richten zu lassen. Ich glaube, wir alle brauchen erst mal Ruhe, dann sehen wir weiter.« Er wandte sich an Cedric. »Selbstverständlich bist du unser Gast, wenn du magst.«
Collingford nahm das Angebot mit einem dankbaren Kopfnicken an. Philipp nahm Maureen einfach auf die Arme und trug sie die Treppe hinauf. Maureen war wieder hier! Sie war seine Frau und sie würde es auf immer und ewig bleiben.
B öig fegte der Wind durch das Blätterwerk, bauschte Maureens Röcke und zerrte an der schlichten Haube, die kühle, stürmische Luft störte sie aber nicht, im Gegenteil. In ihr lag der Geruch nach Salz vom nahen Meer, und Maureen schien es, als hätte sie niemals zuvor etwas ähnlich Köstliches gerochen.
»Wird es dir auch nicht zu viel?«, fragte Philipp besorgt.
Auf seinen Arm gestützt waren sie bis an den Rand des weitläufigen Parks gegangen. Fast zwei Wochen hatte Maureen das Bett hüten müssen, denn die Wunde an ihrem Bein hatte sich entzündet, und der Arzt hatte ihre strenge Ruhe verordnet. Jetzt begann die Verletzung zu heilen, die Wunden in ihrer Seele saßen aber tief und hatten Maureen schlaflose Nächte bereitet. Dem Arzt hatte sie auch von ihren Magenschmerzen erzählt und war von ihm ausführlich untersucht worden.
»Mylady, Ihr seid gesund.«
»Aber die Schmerzen … sie kommen und gehen, und wurden in der letzten Zeit immer stärker«, beharrte Maureen.
Der Arzt hatte sie ernst angesehen.
»Bei einem Kongress in London im letzten Jahr hörte ich von der neuartigen These, dass Dinge, die unsere Seele belasten, reale Beschwerden und Schmerzen in unserem Körper auslösen können. Die Meinungen darüber sind gespalten, auch ich zweifle daran, dass Probleme Krankheiten verursachen sollen. Da ich aber nichts Organisches feststellen kann, wäre es durchaus möglich. Ihr habt viel durchgemacht, Mylady.«
Tatsächlich waren die Schmerzen seit dem Tag, an dem Maureen Linnleys Leben gerettet hatte, nicht mehr aufgetreten. Heute hatte sie nun darauf bestanden, einen Spaziergang im Garten zu machen, denn sie sehnte sich nach frischer Luft.
»Geduld war noch nie meine Stärke«, sagte sie lächelnd zu Philipp.
»Du warst am Vormittag bei Linnley. Wie geht es ihm heute?«, fragte Philipp.
Maureen zuckte mit den Schultern. »Nelly sagt, er beginnt langsam wieder zu essen. Ich bin sicher, er wird sich bald erholen.«
Seit dem schicksalhaften Tag am Strand hatte David Linnley sein Zimmer auf Trenance Cove nicht verlassen. Von dem Trubel, der Maureens plötzliche Wiederbelebung allerorts ausgelöst hatte, hatte er nichts mitbekommen. Wilde Spekulationen rankten sich um Maureens Auftauchen. Philipp hatte lediglich erklärt, die Nachricht über den Tod seiner Frau wäre ein schrecklicher Irrtum gewesen.
In den letzten Tagen war eine Besserung in Linnleys Zustand eingetreten. Er saß nicht mehr nur die ganze Zeit in einem Sessel am Fenster und starrte wortlos in den Park, sondern begann auf einfache Konversationen einzugehen, auch wenn seine Stimme noch tonlos und seine Wangen blass waren.
Philipp blieb stehen und blickte in Maureens Augen.
»Wirst du es ihm sagen?«
»Was? Dass er mein ...« Maureen schluckte. »Mein Vater«, hatte sie sagen wollen, brachte es aber nicht fertig, das Wort auszusprechen. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Was würde es ändern? Andererseits ... wenn wir uns eine gemeinsame Zukunft aufbauen möchten, wird es unumgänglich sein, dass er die Wahrheit erfährt.«
Leicht drückte Philipp ihren Arm.
»Was meinst du mit gemeinsamer
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