Im Schatten der Vergeltung
Schultern und atmete tief durch.
»Ich bin sicher, es gibt für deine Anwesenheit eine logische Erklärung, zuvor muss ich euch aber erzählen, was ich von Mutter erfahren habe.« Sie sah zu ihrem Vater. »Es wird dir nicht gefallen, Papa, ich kann und will dir aber nichts verschweigen. In dieser Familie ist bereits zu viel verschwiegen und gelogen worden.«
Ob diesem Vorwurf konnte Philipp nur stumm nicken. Frederica begann zu berichten, was Maureen ihr erzählt hatte.
S chon von weitem erkannte Maureen Linnleys Pferd. Es stand ruhig auf den Klippen über der Bucht und kaute genüsslich an den Grasbüscheln. Noch im Ritt glitt Maureen aus dem Sattel, stürzte und schlug sich eine Hand und das rechte Knie an einem Stein blutig. Gewandt kletterte sie über die Felsen in die Tiefe. Dann sah sie ihn! David Linnley stand mit nacktem Oberkörper und einer Pistole in der Hand im Meer, das Wasser reichte ihm bis zur Hüfte. Er wandte Maureen den Rücken zu, und da ihre Schritte auf dem weichen Sand kein Geräusch erzeugten, bemerkte er sie nicht. Dunkle Wolkenfetzen trieben vor die Sonne und warfen bizarre Schatten auf den schmächtigen Mann, der offensichtlich noch zögerte, seinem Leben ein Ende zu setzen. Als Maureen nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, fiel ihr Blick auf seinen schmalen Rücken. Es war das erste Mal, dass sie Linnley mit unbekleidetem Oberkörper sah. Zuerst glaubte sie, das Licht würde ihr einen Streich spielen, dann aber erkannte sie in aller Deutlichkeit die ungewöhnliche Zeichnung auf seinem rechtem Schulterblatt: Sechs kleine, dunkle Muttermale bildeten eine Formation, die dem Sternbild des Großen Wagens ähnelten. Maureen stockte der Atem, der Boden schwankte unter ihren Füßen.
»Linnley also ...«, flüsterte sie ungläubig, dann rief sie lauter: »Linnley!«
Jetzt hatte er sie gehört, drehte sich zu ihr herum und hob die Pistole. Die Mündung zielte direkt auf Maureens Brust. David Linnley blinzelte verwirrt, dann weiteten sich seine Augen erstaunt.
»Du schon wieder!«, stieß er hervor. »Was willst du noch von mir? Warte noch einen Augenblick, dann hast du erreicht, was du wolltest. Oder kommst du direkt aus der Hölle, um meine Seele gleich mit dir zu nehmen?«
Stocksteif stand Maureen ihm gegenüber. Das kalte Wasser drang in ihre Schuhe und in die Hose, es kümmerte sie aber nicht. Ihr ganzer Körper war über die Gewissheit, die sie eben erhalten hatte, gelähmt. Minuten, die Maureen wie Stunden vorkamen, starrten sie und Linnley sich an. Die Pistole zitterte in seiner Hand, ein Finger lag direkt am Abzug. Maureen wusste, dass Linnley Waffen hasste und selbst bei einer Jagd niemals eine in die Hand genommen hatte. Gerade das machte die Situation gefährlich. Wie schnell konnte sich aus Versehen ein Schuss lösen.
»Wirf die Pistole weg«, flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Warum hast du Angst vor der Pistole? Du bist doch schon tot. Willst du dich jetzt daran ergötzen, wie ich meinem armseligen Leben ein Ende bereite?«
»Ich möchte nicht, dass du stirbst.«
Bitter lachte er, ohne den Lauf zu senken.
»Warum? Ich habe alles verloren, das mein Leben lebenswert gemacht hat. Mein Haus, mein Land, ja, selbst meine Frau vermisse ich. Für sie und meinen Sohn bin ich bereits gestorben. Darüber hinaus habe ich das Wertvollste verloren, das ein Mensch besitzt: Meine Ehre! Ich dachte, ich könnte die schreckliche Schuld, die seit Jahren auf meinen Schultern lastet, durch Geld sühnen. Darum wollte ich Linnley Park ausbauen und mit der Mine vielen Menschen Arbeit geben. Alles war ein Irrtum, ein tödlicher Irrtum.«
Es war eine ungewöhnlich lange Rede für David Linnley, aber Maureen wusste, solange er sprach, würde er sich und ihr nichts antun.
»Linnley, es gibt viel, sehr viel, was ich Euch sagen muss«, sagte sie beharrlich. »Ihr werdet auf dieser Welt noch gebraucht.« Sie stockte und fuhr dann leise fort: »I ch brauche dich!« Vater, fügte sie in Gedanken hinzu, brachte es aber nicht fertig, das Wort auszusprechen.
Ein ironisches Lächeln zuckte um seine Lippen.
»Ich wusste gar nicht, dass man sich völlig normal fühlt, wenn sich der Wahnsinn langsam in das Gehirn frisst. Ich stehe hier und spreche mit dem Geist einer Toten, der mich daran hindern will, was ein jeder Ehrenmann in meiner Situation jetzt tun muss.«
»Selbstmord verstößt gegen Gottes Gesetze, er ist keine Lösung.«
»Er ist die Lösung schlechthin! Und für mich die
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