Im Schatten der Vergeltung
Reisen vermisste? Liebt er mich eigentlich noch? Diese Frage lag Maureen seit langem auf der Seele, ihr Stolz verbot ihr aber, die Worte auszusprechen. Stattdessen seufzte sie nur leise und sagte:
»Es war ein anstrengender Tag. Ich möchte mich zurückziehen.«
Pflichtbewusst hauchte Philipp ihr einen Kuss auf die Wange, wobei seine Lippen kaum ihre Haut berührten.
»Maureen, ich bitte dich, nie zu vergessen, wie viel du Lady Esther zu verdanken hast und um Zurückhaltung ihr gegenüber. Ich weiß sehr gut, dass dein Temperament manchmal mit dir durchgeht und du deine Worte nicht sorgsam und überlegt wählst. Von Lady Esthers Wohlwollen hängt jedoch unsere Stellung und unser Ansehen in Cornwall ab.«
Nun konnte Maureen sich nicht länger beherrschen, und es brach aus ihr hervor: »Lady Esther! Immer nur Lady Esther! Hast du dich eigentlich einmal gefragt, was es für mich bedeutet, dieser Frau ständig Honig um den Bart zu schmieren?«
Als hätte ihn jemand mit einer Reitpeitsche mitten ins Gesicht geschlagen, zuckte Philipp zurück.
»Du bist ungerecht, es geschah alles nur zu deinem und schließlich auch zu Fredericas Bestem. Habe ich dir nicht alle Freiheiten gelassen, die du wolltest, solange sie nicht dem Wohl der Familie entgegenwirkten? Ist es wirklich zu viel verlangt, wenn ich dich bitte, sich gegenüber einer älteren Dame höflich und freundlich zu benehmen?«
Ärgerlich zog Maureen die Stirn kraus, eine steile Falte bildete sich über ihrer Nasenwurzel.
»Das heißt, dass ich ihr in den ...«
»Maureen«, unterbrach Philipp scharf, »sprich es lieber nicht aus! Das ist deiner nicht würdig.«
Maureen zuckte mit den Schultern und versuchte einzulenken.
»Ach, Philipp, ich möchte mich nicht mit dir streiten. Wir sind beide erregt, es ist am besten, wenn wir das Gespräch morgen fortsetzen. Gute Nacht, Philipp.«
Sie ging zur Tür, legte die Hand auf die Klinke und zögerte. Sie hoffte, er würde ihr folgen oder wenigstens ein paar versöhnliche Worte sagen, aber Philipp blieb stumm. Resigniert verließ Maureen den Raum und ging langsam die Treppe hinauf. Als sie die Tür ihres Schlafzimmers hinter sich geschlossen hatte, atmete sie tief ein und aus. Um sich zu beruhigen, griff sie nach dem Buch, dessen Lektüre sie am Nachmittag unterbrechen musste. Bereits nach wenigen Minuten legte Maureen das Buch wieder zur Seite. Sie konnte sich jetzt nicht auf die Biografie eines Fremden konzentrieren. Ihre eigenen Probleme schwirrten ihr im Kopf umher. Seit Jahren bewohnten sie und Philipp getrennte Schlafräume, so konnte sie all das lesen, das sie interessierte, ohne jemanden Rechenschaft abgegeben zu müssen. Maureen wusste, dass Philipp ihren Wissensdurst weder nachvollziehen noch verstehen konnte, ihn aber billigte – zumindest, wenn Maureen in der Abgeschlossenheit ihres Zimmers all die Bücher las, die eigentlich den Männern vorbehalten waren.
»Ich glaube, Gott würde es verstehen, dass wir Frauen uns auch für Politik und Wirtschaft interessieren«, hatte Maureen einmal gesagt.
Damals hatte Philipp verschmitzt gelächelt, die Vorhänge zugezogen und erwiderte: »Gott schon, die Nachbarn nicht.«
Maureen fand nun einmal keine Erfüllung darin, stundenlang mit herausgeputzten, ältlichen Damen bei Tee und Gebäck zusammenzusitzen und sich in Tratsch zu ergehen. Wer mit wem, wann und wieso ... Es langweilte Maureen unsäglich. Erst vor wenigen Wochen hatte sie bei einem Teekränzchen die aktuellen Ereignisse in den Kolonien angesprochen und die Damen damit schockiert.
»Politik ist Männersache!«, hatte Ann Seelwood entrüstet gerufen. »Unser Verstand ist nicht dazu geschaffen, so komplexe Themen zu verstehen oder gar zu begreifen.«
»Aber immer mehr Frauen interessieren sich für ...«, versuchte Maureen zu widersprechen, erhielt aber keine Gelegenheit, den Satz zu vollenden, denn Lady Esther fuchtelte nervös mit beiden Händen vor Maureens Gesicht, als wolle sie ein lästiges Insekt verscheuchen.
»Kindchen, Kindchen! Wir sind auf der Welt, um unseren Männern das Leben zu verschönern und ihnen ein gemütliches Heim zu schaffen. Kein Mann möchte in der Gesellschaft einer Frau sein, die sich in seine Angelegenheiten mischt oder gar meint, über politische Vorgänge ihre Meinung äußern zu müssen.«
Maureen hatte sich über Lady Esters Worte sehr gewundert, denn gerade diese ließ ihrem Mann keine eigene Meinung und hielt die Zügel fest in der Hand. Für einen Moment hatte sie
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