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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elio Vittorini
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meinem Großvater mit der Hand aufs Knie: wiederum ist er beim Großvater. Der Schemel unter ihm tut wieder einen Knacks. Er drückt das gebrochene Bein mit der anderen Hand zusammen; meine Mutter verhält sich beobachtend, sie scheint etwas sagen zu wollen, geht jedoch zu dem Zichorienhaufen, der aus der Kiepe auf den Boden geschüttet ist.
    »Hier müssen wir uns aber dranhalten«, ruf sie aus, »Anna! Elvira!«
    Sie läßt jedoch Rußgesicht keineswegs unbeachtet. »Schön«, sagt sie zu ihm. »Eine Aufmerksamkeit ist eine Aufmerksamkeit. Möchtet Ihr gern etwas bei ihm bleiben? Auch ich hätte gern, daß Ihr hierbleibt. Tut, als wäret Ihr zu Hause.«

    9

    Meine Mutter und die drei Mädchen machen sich darauf ans Zichorienputzen.
    Sie nehmen von dem großen Haufen, um den sie herumknien, und jede wirf zwei Häufchen auf, eins von den Abfällen und eins vom Verlesenen. Ihre Hände gehen so flink wie bei einer Näharbeit. Alle vier sind sie vertief, und fünf oder sechs Minuten lang scheinen sie nicht mehr daran zu denken, daß sie einen Besucher im Hause haben. Meine Mutter selbst denkt aber daran. »Nur schade, daß er schwerhörig ist«, sagt sie unvermittelt zu ihm. »Schwerhörig?« wiederholt jener.
    Und meine Mutter: »Jawohl. Er hört nicht gut.« »Ich weiß nicht«, sagt jener. »Man kann’s nicht wissen.« »Wir müssen ihm in die Ohren brüllen.«
    »Aber seht«, sagt jener. »Statt schwerhörig, kann man etwas hörmüde sein. Kommt vor. Da gibt man keine Antwort. Was jedoch nicht besagt, daß man nichts hört.«
    Meine Mutter hat das Putzen sein lassen, weil sie ihm zuhört.
    Was Großvaters Gehör angeht, weiß ich, daß sie so ziemlich seiner Ansicht ist. Manchmal sagt sie, Großvater sei schwerhörig, und manchmal stellt sie’s wieder in Abrede. »Falle ich dir auf die Nerven?« pflegt sie den Großvater anzuschreien, wenn er ihr keine Antwort gibt.
    Deshalb bemerkt sie nun: »An dem, was Ihr sagt, ist etwas dran.« Und sie mustert mich, ihren Gatten, die Schwiegertöchter, die Tochter. »Gar kein Dummkopf – das Rußgesicht«, ist aus ihrer Miene zu lesen.
    Dabei entgeht ihr nicht, daß bei Rußgesicht wieder der Schemel knarrt.
    »Ihr habt ihm den Schemel gegeben, der kaputt ist!« ruf sie aus.
    »Ist das der Schemel, der kaputt ist?« sagt ihr Gatte. Und sie: »Wechsle ihn aus. Gib ihm einen Stuhl.« Aber Rußgesicht läßt uns nicht heran, uns und unseren Stuhl.
    »Macht nichts aus«, sagt er. Es ist ihm nicht ums Auswechseln zu tun. »Ich danke Euch, Signora«, setzte er flugs hinzu und in sanfem Tone, »aber so geht es ebensogut.«
    Er redet, als ob ihn auf einmal etwas beschäfigte, was ihm keine Möglichkeit läßt, auf andere Dinge zu achten. Beschäfigt ihn etwas, was beim Großvater vor sich geht? Etwas, was der Großvater tut? Sogar meine Mutter dreht sich um, tritt dann näher. Der Großvater, dessen mächtiger Schädel immer noch – mehr zur Schulter zwar als zur Brust hin – geneigt ist, bewegt gerade seine eine Hand. Schon hat er mit ihr den Stock losgelassen und hält sie erhoben, ohne sie aufzumachen oder zu ballen. Sie tastet in Rußgesichts Richtung. Was hat sie mit ihm vor? Einen Augenblick lang scheint sie, auf seinem Arme sich niederlassen zu wollen; sie geht noch höher, scheint, ihm auf die Schulter sich legen zu wollen; aber jetzt geht sie nur noch in die Höhe, kommt bis an sein Gesicht. Was hat sie mit ihm vor? Will sie’s streicheln?
    Wir könnten auch annehmen, daß sie’s fortstoßen will. Aber Rußgesicht sieht nicht so aus, als erwarte er das. Er lächelt gewitzt.
    »Sieh’ doch einer an!« sagt meine Mutter. Die Hand, deren Finger zwar noch etwas gekrümmt sind, verhält bei Rußgesichts Antlitz, und mit zweien der Finger fährt sie über die Wangen, – die eine Wange, die andre Wange, – dann zieht sie sich zurück.
    Was zum Teufel hat sie gemacht? Man möchte behaupten, sie habe ihn wirklich gestreichelt. Unterdessen zieht sie sich zurück, hebt sich, die Finger nach oben gekehrt, dem Barte und dem gesenkten Blicke entgegen.
    »Ja, das geht nicht ab«, sagt Rußgesicht zum Großvater.
    Wir müssen alle lachen, und lachend fährt meine Mutter heraus: »Er hatte ihn für einen Neger gehalten.«
    »Nein, Signora«, sagt Rußgesicht zu ihr. »Er wollte nur wissen, ob das beim Befühlen abgeht.« Hierauf fährt er, zum Großvater gewendet, eher in gedämpfem Tone fort, statt mit erhobener Stimme. »Das kommt von einem so sonderbaren Asphalt«, sagt er zu

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