Im Schatten des Fürsten
mich mein Leben lang über Offiziere lustig gemacht. Denkst du wirklich, ich bin so ein Narr, dass ich jetzt einer von ihnen werden möchte?«
Sie lachte. »Könntest du jemanden zum Grafen schicken und ihn benachrichtigen lassen, dass ich mit den Eilsendungen eingetroffen bin?«
Giraldi schnaubte. »Ich denke, du hast dich schon selbst ausreichend angekündigt. Hier gibt es nicht so viele Leute, die mit einem Donnerschlag landen und das gesamte Geschirr im Tal zum Klappern bringen. Jeder, der nicht vollkommen taub ist, wird dich gehört haben.«
»Dann bedanke ich mich für deine Mühe, Zenturio«, neckte sie ihn, warf sich den Rucksack über eine Schulter und eilte zur Treppe. Ihre lederne Flugkleidung knarzte.
»Es ist eine Schande«, beschwerte sich Giraldi. »Ein hübsches Mädchen wie du sollte nicht in dieser Kleidung herumlaufen. Männerkleidung, und außerdem viel zu eng. Geradezu unanständig eng. Besorg dir ein hübsches Kleid.«
»Das hier ist praktischer«, rief Amara über die Schulter zurück.
»Ist mir schon aufgefallen, wie praktisch du dich immer anziehst, wenn du Bernard besuchst«, knurrte Giraldi.
Unwillkürlich errötete Amara, doch vermutlich fiel das nach dem Wind und der Kälte beim Fliegen kaum auf. Sie stieg hinunter in den Westhof. Als Bernard Kaserna von Graf Graem übernommen hatte, hatte er sofort alle Spuren der Schlacht beseitigen lassen, die vor nunmehr zwei Jahren stattgefunden hatte. Trotzdem glaubte Amara stets, Blutflecken zu entdecken, die man übersehen hatte. Dabei wusste sie, dass hier sehr sorgfältig sauber gemacht worden war.
Geblieben waren die Blutflecken in ihrer Erinnerung und ihrem Herzen.
Der Gedanke ernüchterte sie ein wenig, ohne jedoch das Glücksgefühl zu mindern, das sie am heutigen Morgen beseelte. Das Leben an der Ostgrenze von Alera, so rief sie sich ins Gedächtnis, konnte hart sein. Tausende Aleraner hatten hier im Tal den Tod gefunden, dazu zehntausende von Marat. An diesem Ort hier wohnten seit beinahe einem Jahrhundert Elend, Gefahr, Verrat und Gewalt.
Doch nun hatte ein Wandel eingesetzt, der zum Großteil den Bemühungen und dem Mut jenes Mannes zu verdanken war, der hier für die Krone regierte. Und um diesen Mann möglichst rasch zu treffen, hatte sie sich in die gefährlichen hohen Winde gewagt.
Bernard trat aus dem Gebäude des Kommandanten in der Mitte der wie ein Lager angelegten Festung und lächelte. Obwohl er mittlerweile etwas elegantere Kleidung aus feineren Stoffen trug, bevorzugte er nach wie vor das einfache Grün und Braun des Wehrhöfers und verzichtete meist auf die strahlenderen Farben, die er seiner Abstammung und Zugehörigkeit nach hätte tragen können. Er war groß, sein dunkles Haar war mit frühem Grau gesprenkelt, und den Bart trug er nach Legionsart kurzgeschoren. Er blieb stehen und hielt einer Magd, die die Arme voller Wäsche hatte, die Tür auf, ehe er mit langen, zuversichtlichen Schritten auf Amara zuschritt. Bernard hatte eine Statur wie ein Bär, dachte Amara, doch er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze. Und ganz bestimmt war er der stattlichste Mann, den
sie je gesehen hatte. Am besten gefielen ihr seine Augen. Dieses dunkle Grün war wie Bernard selbst - klar, offen und ehrlich. Und seinem Blick entging nur wenig.
»Graf«, murmelte sie und bot ihm die Hand.
»Gräfin«, antwortete er. Tief in seinen Augen lag eine Glut, bei deren Anblick Amaras Herz schneller schlug, während er sanft ihre Hand ergriff und sich darüberbeugte. Sie meinte die Vibrationen seiner tiefen Stimme im Bauch zu spüren, als er sagte: »Willkommen in Kaserna, werte Kursorin. Hattest du eine angenehme Reise?«
»Doch, doch, jetzt, nachdem das Wetter aufgeklart ist«, erwiderte sie und legte ihm die Hand auf den Arm, während sie seine Amtsstube betraten.
»Wie ist die Lage in der Hauptstadt?«
»Unterhaltsamer als gewöhnlich«, berichtete sie. »Wenn es so weitergeht, werden sich das Sklavenhändler-Konsortium und die Dianische Liga bald in den Straßen duellieren, und die Senatoren können kaum die Nase aus der Tür stecken, ohne von der einen Partei oder der anderen überfallen zu werden. Die Städte des Südens bemühen sich nach Kräften, die Preise für die Jahresernte in die Höhe zu treiben und beschweren sich lauthals über die Gier der Mauerfürsten, während die Mauerstädte höhere Steuern für den geizigen Süden fordern.«
Bernard schnaubte. »Und Seine Majestät?«
»Ihm geht es gut«,
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