Im Schatten des Fürsten
Schönheit. Die goldene Frühlingssonne verwandelte sie in Flammenberge, und die Wolken wiederum fächerten das Licht in farbig tanzende Bänder auf.
Die Freude über den prachtvollen Anblick entlockte Amara ein Lachen. Egal wie oft sie auch schon geflogen war, der Anblick des Himmels brachte immer wieder ihr Herz zum Überlaufen, und ein Gefühl von Freiheit, von Stärke erfüllte sie. Amara rief Cirrus eine Aufmunterung zu, und der Elementar trug sie mit solcher Geschwindigkeit in die Höhe, dass der Wind die Haut in Amaras Gesicht straff spannte und eine Wolke von der Größe der Zitadelle hinter ihr zu einer langen Säule auseinandergezogen wurde. Amara winkelte die Arme an, woraufhin der Fahrtwind ihr um den Kopf rauschte, dass ihr schwindelig wurde. Schließlich wurde die Luft immer dünner und kälter.
Cirrus’ Gegenwart erlaubte ihr, ohne Schwierigkeiten zu atmen, zumindest für eine Weile, doch das Blau des Himmels wurde tiefer und tiefer, und nach wenigen Augenblicken sah sie schon die ersten Sterne. Die Kälte nahm zu, und Cirrus selbst ermüdete nun langsam, da es dem Elementar schwerfiel, ausreichend Luft zu finden, um Amara in der Höhe zu halten.
Ihr Herz klopfte aufgeregt, und sie gab Cirrus das Zeichen zum Sinkflug.
Einen erhabenen Moment lang hing sie zwischen Sternen und Erde, ehe es ohne Hast in die Tiefe ging. Dann streckte sie ihren Körper wie ein Taucher und sauste hinab. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie hielt die Beine geschlossen und die Arme eng am Körper, während sie das Gesicht gen Boden richtete. Binnen weniger Sekunden schoss sie schneller nach unten, als sie aufgestiegen war, und der Wind trieb ihr Tränen in die Augen, bis Cirrus vor ihr einen Schutzschirm bildete.
Als die Luft wieder dichter wurde, ließ sie sich abermals von Cirrus antreiben, und bei der doppelten und vierfachen Geschwindigkeit bildete sich ein schwacher Lichtnimbus um sie. Die wogenden grünen Hügel des Calderon-Tales, die bereits mit jungem Pflanzenwuchs den Winter vertreiben wollten, kamen in Sicht. Mit scheinbarer Bedächtigkeit näherte sie sich dem Tal.
Amara konzentrierte sich auf die Elementarbeschwörung und entdeckte den Dammweg, der sich quer durch das Tal bis zur Festung am Ostende erstreckte. Dann kam schließlich der Außenposten Kaserna selbst in Sicht.
Vor Aufregung stieß sie einen Juchzer aus. Sie ging bis an die Grenzen ihrer Kraft für diesen Flug. Plötzlich gab es einen ohrenbetäubenden Donnerschlag. Sie keuchte und breitete Arme und Beine aus, um den Sinkflug zu verlangsamen, da sie nur noch tausend Fuß über dem Boden war. Eilig schob sich Cirrus vor sie und half ihr, noch stärker abzubremsen. So beendeten sie und Cirrus den Sturzflug und nutzten den Schwung aus, um auf einem heulenden Zyklon über den Dammweg zu brausen. Erschöpft und keuchend vor Anstrengung raste Amara auf das Tor von Kaserna zu, schneller als ein Pfeil. Sie zog die Winde um sich herum zusammen, als sie sich dem Tor näherte, und die Wache oben auf der Mauer erhob sich von ihrem Stuhl.
Grinsend änderte Amara die Richtung und landete über dem Tor auf dem Wehrgang. Der Wind wirbelte eine Staubwolke auf, welche die Wache einhüllte - einen grauhaarigen Zenturio namens Giraldi. Der stämmige alte Veteran hatte gerade einen runzligen Winterapfel geschält, und nun deckte er die Frucht mit einer Ecke seines scharlachrot-blauen Mantels ab, bis der Staub sich gelegt hatte. Danach schälte er den Apfel weiter.
»Gräfin«, grüßte er beiläufig. »Schön, dich zu sehen.«
»Giraldi«, erwiderte sie den Gruß. Sie lockerte die Riemen ihres versiegelten Botenrucksacks und ließ ihn vom Rücken rutschen. »Die meisten Soldaten salutieren vor Angehörigen des Adels.«
»Bei den meisten Soldaten ist der Arsch auch nicht so grau wie bei mir«, erwiderte er fröhlich.
Und sie tragen auf der Uniformhose auch nicht die scharlachroten Streifen des Löwenordens, die Auszeichnung des Ersten Fürsten für Tapferkeit, dachte Amara und unterdrückte ein Lächeln. »Warum hältst du Wache? Ich dachte, ich hätte letzten Monat die Dokumente für deine Beförderung gebracht.«
»Hast du auch«, bestätigte Giraldi. Er schob sich ein Stück Apfelschale in den Mund. »Habe sie jedoch abgelehnt.«
»Die Ernennung zum Offizier?«
»Heilige Krähen, Mädchen«, fluchte er und versuchte nicht einmal so zu tun, als würde er sie mit der Höflichkeit behandeln, die er ihr der Tradition nach entgegenbringen sollte. »Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher