Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
behauptete die Mutter. Moritz musste zugeben, dass das Haar des Mädchens hinterher viel mehr glänzte, aber er fragte sich jedes Mal, wie die Kleine es aushielt, dass ihr so lange auf dem Kopf herumgekratzt wurde. Er jedenfalls tauchte immer unter den Händen hindurch, die ihm über den Kopf streicheln oder, noch schlimmer, ihn kämmen wollten. Das hatte glücklicherweise in der letzten Zeit nachgelassen, auch ein Vorteil des Erwachsenwerdens.
Manchmal kam mit dem Schauermann auch die Kräuter-Anni zu Besuch. Moritz hatte geglaubt, sie sei eine alte, verschrumpelte Frau, wo sie schon Witwe war, doch sie schien ihm sogar jünger zu sein als seine Mutter. Allerdings war man bei Erwachsenen ja nie sicher, wie alt sie tatsächlich waren.
Wenn der Schauermann, die Kräuter-Anni, Onkel Hermann und die Tante gleichzeitig erschienen, war es nicht nur gemütlich, sondern auch eng in der Wohnstube der Familie Forck. Die Männer spielten meist zu viert Skat. Dazu brauchten sie Moritz nicht mehr, denn der vierte Mann, der jetzt aussetzen musste,zählte die Stiche. Die Frauen saßen am Fenster, jede mit ihrer Handarbeit auf dem Schoß, und erzählten sich Neuigkeiten aus dem Viertel. Kräuter-Anni stickte mit einem äußerst feinen Faden Buchstaben in die Servietten reicher Leute, wobei sie den Stoff in zwei runde Holzrahmen eingespannt hatte. Moritz sah ihr manchmal bei der Arbeit zu und fragte sich immer wieder, wie sie es schaffte, von unten mit der Nadel die richtige Stelle im Gewebe zu treffen.
Auch an diesem Abend war die Bude wieder voll. Moritz spielte mit Alvine Murmeln. Sie saßen auf dem Fußboden, weil man nur dort Murmeln spielen konnte und weil es ohnehin keine Sitzplätze mehr gab. Doch es langweilte ihn, mit einem kleinen Mädchen zu spielen, und das Mädchen langweilte sich ebenso. Schließlich gaben sie das Spiel auf. Alvine beschäftigte sich mit ihren Haaren und hörte den Gesprächen der Frauen zu. Moritz kroch hinter ihr auf dem Boden herum und knüpfte ihre Schürzenbänder an einem Stuhlbein fest. Und da er gerade dabei war, zog er ganz vorsichtig die Schnürbänder aus den Schuhen von Onkel Hermann.
»Ich hab gute Kontakte«, sagte der Schauermann gerade, »ich wohn ja am Rande des Neustädter Gängeviertels.«
Johann Forck, der die Karten mischte, blickte interessiert hoch.
»Man erzählt«, fuhr der Schauermann fort, »dass der Höker Michelsen von der Polizei hopsgenommen worden ist. Er soll Diebesgut verkauft habn.«
»Machen das nicht alle?«, fragte Onkel Hermann.
»Möglich. Aber das hier ist ’n ganz großes Ding. Der Höker hat ’ne Sache verkauft, die diesem Elbrand gehört hat.«
Onkel Hermann pfiff überrascht durch die Zähne, Johann Forck und Jan schwiegen. Man war übereingekommen, nichts über die Mitwirkung von Moritz an der Polizeiaktion zu sagen, da immer noch die Bedrohung durch den Elbrandmörder über der Familie schwebte.
»Meinst du, dass der Höker ausplaudert, von wem er die Sache hat?«, fragte Hermann.
»Ich an seiner Stelle würde den Mund halten«, platzte Jan dazwischen, »sonst ist er bald tot.«
»Ich würd auch die Schnauze haltn«, sagte der Schauermann, »aber das wird dem Höker nix nützn. Die bei der Polizei habn so ihre Methoden, die bekommn alles raus.«
»Meinst du, dass die ihn schlagen?«, fragte die Kräuter-Anni vom Fenster her.
»Ist wohl nich nötig. Diesen Fettkloß brauchn sie nur hungern lassn. Der redet spätestens nach ein Tag.«
Niemand lachte über den Witz.
»Dann haben sie bald den Mörder«, sagte Mutter Forck zufrieden.
Der Schauermann schüttelte den Kopf. »Da wär ich mir nich so sicher. Der ist bestimmt schon über alle Berge. Würd ich jedenfalls machen, wenn ich ihn wäre.«
Wenn ich er wäre, verbesserte Moritz im Stillen, in Erinnerung an Cäcilies Deutschunterricht.
»Ob verhaftet oder geflüchtet, ist doch egal«, sagte Herta Forck, »Hauptsache er ist weg und lässt uns in Ruhe.«
26
Es polterte. Die Bediensteten im Kontor blickten erstaunt von ihren Pulten hoch.
»Hört sich an wie der Klabautermann«, sagte Alexander.
»So früh am Morgen?«, fragte Roger.
Harms erhob sich und wollte gerade zur Treppe gehen, da stand Kapitän Westphalen bereits im Kontor. Der Kontorvorsteher stellte sich in alter Gewohnheit schützend vor die Tür zum Büro von Caesar Schröder, besann sich dann doch eines anderen, trat schnell beiseite und verbeugte sich eilfertig. Doch da war der Klabautermann bereits in das »Heiligtum«
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