Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
der Altstadt kommend marschierte eine Abteilung der Nachtwache zu den Vorsetzen. Aus der Stadt waren Hörner zu hören, die das Bürger-Militär zum Sammeln riefen. Die Arbeiter blieben stehen und blickten missmutig, manche auch feindselig,auf die Uniformierten. Bald darauf versammelten sie sich in kleinen Gruppen.
Irgendwas stimmt hier nicht, dachte Moritz. Warum marschiert die Nachtwache, die Ablösung müsste doch längst vorbei sein? Und warum blasen die Hornisten des Bürger-Militärs?
Er drängte sich an eine der Gruppen von Arbeitern heran.
»Ob die Dänen kommen?«, fragte einer mit ängstlicher Stimme. »Ich habe gehört, dass sie in Glückstadt eine Menge Soldaten zusammengezogen haben.«
»Quatsch!«, rief ein anderer. »Wenn die Dänen kommen, helfen uns die Preußen.«
»Ha, die Preußen!«, schimpfte ein Dritter. »Die wollen uns doch nur besetzen. Die kassieren doch ein Land nach dem anderen ein. Dann lieber die Dänen.«
Die Straße vibrierte unter dem Gleichschritt einer weiteren Abteilung der Nachtwache. Der Sergeant trieb seine Männer zu einer schnelleren Gangart an.
»Die Dänen können es nicht sein«, sagte einer der Arbeiter, ein Riese von Mensch, »sonst würde das Militär zum Millerntor marschieren. Sie sind aber auf dem Weg zum Neustädter Gängeviertel. Ich weiß das, ich wohne dort.«
»Aufruhr?«, fragte einer der Männer.
»Möglich. Es gab letztens Proteste wegen der hohen Brotpreise.«
»Wollen wir zurück und unsere Leute unterstützen?«
Nachdenkliches Schweigen.
Moritz hätte liebend gern weiter zugehört, doch er musste zur Arbeit. Auf seinem Weg in die Große Reichenstraße eilten Männer des Bürger-Militärs an ihm vorüber, Richtung Zeughaus. Manche zogen sich im Laufen noch die Jacke über.
Harms und Roger waren bereits im Kontor. Als Moritz die Treppe hinaufstürmte, kamen Caesar Schröder und Alexander aus den Privaträumen. Der Patron trug die Uniform eines Reserveoffiziers, er wirkte ernst und gefasst. Der Kontorvorsteher flitztehinter seinem Stehpult hervor und baute sich vor seinem Herrn auf. Er versuchte einen militärischen Gruß, der ihm jedoch reichlich missglückte.
»Gibt es Krieg?«, fragte er mit ungewohnter Entschlossenheit in der Stimme. »Soll ich die Hamburger Bank verteidigen, mich schützend vor sie stellen, mein Leben hingeben? Oder soll ich unser Geld ins Ausland schaffen, mich durch die feindlichen Reihen, wie immer es auch gehen mag, möglicherweise …«
Caesar Schröder lächelte mild. »Es wird keinen Krieg geben, Herr Harms. Es hat andere Gründe, weshalb die bewaffneten Kräfte dieser Stadt zusammengezogen werden.« Er richtete sich gerade auf und drückte die Brust heraus. »Ich kann ihnen jedoch nicht sagen, um was es geht. Ich bin Geheimnisträger.«
Kurze Zeit später wurde Moritz mit einer Depesche zum Steinhöft geschickt.
»Kapitän Westphalen braucht Informationen für den Ernstfall«, hatte der Patron verkündet und Moritz mit einem so durchdringenden Blick angesehen, dass dessen Herz laut zu pochen begann. »Diese Depesche darf nicht verloren gehen. Der Inhalt ist wichtiger als alle Konnossemente. Und das Siegel muss unverletzt bleiben.«
Am Binnenhafen war die Luft nicht mehr so drückend wie in der Stadt, doch auch hier duckten sich die Menschen unter den tief hängenden Wolken. Hinrich Quast stand im Kontor und spielte gelangweilt mit dem Kofferfisch. Das arme Tier sah schon ziemlich ramponiert aus. Welch ein Glück, dass es tot ist, dachte Moritz.
»Gestern hat man den Hehler festgesetzt«, platzte er heraus. »Der hat die Uhr vom Werftbesitzer Elbrand verkauft.«
»Schon gehört«, brummte der Zimmermann und gab dem Kofferfisch einen Stoß, der ihn über die gesamte Tischplatte beförderte.
Jetzt schwiegen alle. Moritz, Hinrich Quast und auch der Kofferfisch.
»Die Spur vom Altwarenhöker führt sicherlich direkt zum Mörder«, fing Moritz wieder an. »Vielleicht hat ihn die Polizei schon verhaftet.«
Hinrich Quast fand es anscheinend unter seiner Würde, dazu etwas zu sagen. Er trat in die Tür, blickte zum Baumhaus und schien auf etwas zu warten.
»Ist Kapitän Westphalen heute nicht hier?«
»Der hat sich zur H ENRIETTE rudern lassen. Es müssen gewisse Vorkehrungen getroffen werden.«
Moritz war unschlüssig, was er mit der Eildepesche machen sollte. Da ihm nichts einfiel, stellte er sich erstmal an das neue Pult mit den schönen Schnitzereien. Es war gut gelungen und hatte genau die richtige Höhe.
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