Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Dampfmaschine ausgerüstet, wenn es damals welche gegeben hätte. Dann wäre er nämlich nicht vierzig Tage lang sinnlos herumgetrieben.«
»Es geht hier nicht um Dampfmaschinen, es geht um Elbrands Hebemaschine!«
Roger hauchte gelangweilt auf seine gepflegten Fingernägel. »Die Lasten sind andere geworden, Alexander. Man kann eine schwere eiserne Lokomotive nicht mit einem hölzernen Kran anheben. Das schafft diese Hebemaschine nicht.«
»So einen Unsinn habe ich noch nie gehört!«, schrie Alexander. »In Lüneburg haben sie eine Lokomotive mit dem alten Tretradkran aus einem Schiff gehoben. Und dieser Kran ist mehr als hundert Jahre alt.«
»As I say!«, triumphierte Roger. »Die Lokomotive hat fast das Schiff versenkt, weil das Seil gerissen ist. Und dann brach die Welle des Krans auseinander. Eine Welle aus Holz.«
»Elbrand hat viel Erfahrung. Er baut nicht nur Segler, er baut auch diese hölzernen Vorrichtungen im Hafen, mit denen die Schiffe auf die Seite gelegt werden können, um das Unterwasserschiff zu reinigen.«
»Die heißen Bullen«, warf Moritz unvorsichtigerweise dazwischen.
Alexander schaute ärgerlich zu ihm hinüber. Moritz war der Lehrling, und als solcher durfte er nicht ungefragt reden. Er wollte gerade einen Tadel aussprechen, als sich der Kontorvorsteher in den Streit einmischte.
»Meine Herren«, sagte er unwillig, »eilen Sie an die Pulte und setzen Sie Ihre Korrespondenz fort, oder was immer Sie gerade bearbeiten mögen. Ihren Streit, wenn ich diesen Disput so nennen darf, ohne Ihnen zu nahezutreten, Ihren Streit also können Sie heute Abend, oder wann auch immer, jedenfalls nach Arbeitsende, und wo auch immer, nur nicht …«
Harms hatte den Faden verloren, wie so häufig. Er räusperte sich, suchte verzweifelt nach dem Satzende, fand ihn nicht und schritt kopfschüttelnd zu seinem Pult zurück.
Um fünf Uhr am Nachmittag setzte die Dämmerung ein. Der Kontorvorsteher klappte das Kassenbuch zu und streifte seine Ärmelschoner ab. Dies war das Zeichen, dass der Arbeitstag zu Ende war. Es gab kaum Güterumschlag im Winter, da viele Schiffe auf der Elbe im Eis festlagen, und wegen der wenigen Arbeit lohnte es nicht, teure Kerzen anzuzünden.
Alexander Schröder und Roger Stove hatten sich schnell wieder versöhnt. Jetzt machten sie sich auf den Weg zum »König von England«, wo sie den Abend im Kreise der anderen Commis verbringen wollten. Für Moritz jedoch ging der Arbeitstag weiter. Er öffnete den Ofen und zog die letzten Reste der glühenden Kohlen auseinander. Dann wischte er die Stehpulte ab, füllte Tinte in die Fässchen, schnitt die Federkiele für den morgigen Tag zurecht und fegte den Löschsand auf dem Boden zusammen. Unter dem Pult von Roger hatte sich wieder einmal eine beachtliche Sanddüne abgelagert. An der hellen Farbe konnte Moritz erkennen, dass der wenigste Sand zum Trocknen der Tinte verwendet worden war. Ungeachtet der Ermahnungen von Harms bezüglich eines sparsamen Wirtschaftens verteilte Roger gedankenlos ein großes Quantum auf dem Papier und kippte den Sand dann achtlos auf den Boden, ohne ihn für eine weitere Verwendung zu sammeln. Dem strafenden Blick des Kontorvorstehers begegnete er stets mit einem geringschätzigen Lächeln.
Dass Roger den Vorsteher nicht ausstehen konnte, war unübersehbar, er machte sich nicht einmal die Mühe, es zu verbergen. Alexander Schröder dagegen hatte keine Probleme mit Harms. Zum einen lag es daran, dass sich der Vorsteher dem Sohn des Patrons gegenüber sehr vorsichtig äußerte, zum anderen wusste Alexander, dass der Ober-Kontorist ein Meister der Buchhaltung und damit wichtig fürs Geschäft war. Moritz dagegen ging es genauso wie Roger: Auch er konnte diesen kleinen Mann mit dem griesgrämigen Gesicht nicht ausstehen, der seine Untergebenen triezte und vor seinem Patron buckelte. Als Lehrling durfte er das jedoch nicht zeigen. Dennoch nannte auch er ihn heimlich den »preußischen Feldwebel«, als den Roger ihn einmal bezeichnet hatte.
Moritz kroch noch auf den Boden herum, als sich die Tür zum zweiten Obergeschoss öffnete.
»Hast du Zeit?«, flüsterte Cäcilie.
Moritz richtete sich auf, in der einen Hand die Schaufel, in der anderen den Handfeger. »Ja, ja, natürlich«, stotterte er – und ärgertesich im gleichen Augenblick darüber, dass es ihm immer noch nicht gelang, in Cäcilies Gegenwart so kühl und gelassen zu bleiben wie es Roger Stove vermutlich in seiner Situation gewesen
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