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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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eines sinkenden Schiffs. Ich erreiche den sechsten Stock und quetsche mich durch eine weitere Tür in einen verlassenen Flur voller Rauch und umherfliegendem Papier. Lautlos gleite ich an einer Wand entlang unter den Porträts blasierter Manager bis zu einer Eichentür, hinter der der Raum liegt, den wir auf den Plänen gesehen haben, eine in Kabinen aufgeteilte große Fläche. Ich stelle einen Stuhl gegen die Wand, möglichst nah an die Stelle, wo ich die Geiseln vermute, schiebe eine Deckenplatte zur Seite und spähe in den dunklen Zwischenraum.
    Im Schein meiner Taschenlampe, die kaum den Rauch durchdringt, verschwinden die schweren I-Träger im grauen Nebel, wo sie circa alle fünf Meter von Stahlstreben gekreuzt werden. Darunter hängt ein Metallgitter, an dem die Holzfaserplatten befestigt sind, von denen ich eben eine entfernt habe.
    Ich stecke die Taschenlampe ein, ziehe mich bis auf Höhe des Gitters an der Mauer hoch, setze mich rittlings auf einen der Träger und halte mit den Schenkeln das Gleichgewicht. Geräuschlos krieche ich auf dem feucht beschlagenen Stahl entlang. Ich komme gut voran, obwohl es so dunkel ist, dass ich nicht mal die anderen Träger sehen kann, die parallel zu meinem verlaufen. Ungefähr drei Minuten lang schiebe ich mich weiter, zähle jede Querstrebe, um die Entfernung zu messen, ersticke fast an den unsichtbaren Schüben von Asche durchdrungener Luft und schließe die Augen vor dem Staub und den Rußpartikeln. Nach fünfunddreißig Metern glaube ich, direkt über den Geiseln zu sein. Abgesehen vom dumpfen Fauchen der Flammen auf der anderen Seite des Gebäudes und dem entfernten Lärm der Sirenen ist alles totenstill. Zu still, wenn die Geiseln und ihre Entführer unter mir sein sollen. Nicht mal ein Murmeln oder Rascheln dringt an mein Ohr.
    Und dann sticht plötzlich ein Lichtstrahl vom Träger gegenüber in mein Auge.
    »Du bist tot«, sagt eine gedämpfte Stimme.
    Der grelle Strahl trifft mich so plötzlich, dass ich den Halt verliere. Ich lasse mich fallen, kein geplanter Sprung oder irgendein anderes geschicktes Manöver, sondern ein unbeholfener Sturz, der mich direkt durch die hauchdünnen Deckenplatten befördert und auf einen Tisch im Raum darunter krachen lässt. Alle Luft weicht aus meinem Körper.
    Aus fünf Metern Entfernung starrt mich der zweite Terrorist mit weit aufgerissenen Augen an, die Weste prall gefüllt mit Sprengstoff, der Mund von einem schwarzen Streifen Stoff bedeckt. Der Lauf seiner Kalaschnikow hängt nutzlos nach unten, während er versucht, mein plötzliches Auftauchen zu verarbeiten. Sein Partner über uns feuert blindlings durch das, was von der Decke übrig ist. Die Patronen rasen in einer Linie auf seinen Kameraden zu und blasen ihm den Schädel weg. Ich winde mich hilflos auf dem zerbrochenen Tisch, während der Mann auf dem Stahlträger ziellos weitere Salven abfeuert. Ein oder mehrere Schüsse müssen die Weste des Toten getroffen haben, denn gleich darauf fegt eine Explosion durch den Raum.
    Als kleiner Junge im Arbeitslager stellte ich mir oft vor, Stachanowist zu sein und im Akkord zu schuften wie der berühmte Minenarbeiter, der regelmäßig die Norm überbot. An meinen wenigen freien Tagen träumte ich dann, ich sei Ilja Muromez, der legendäre Beschützer des russischen Volkes, und kämpfte mit übernatürlicher Kraft gegen irgendwelche Eindringlinge. Aber wenn es richtig schlimm wurde, wollte ich nur noch weg, aus meinem Körper heraustreten und davonschweben. Dieses Gefühl habe ich jetzt, als die Explosion mich in einem langen schwerelosen Fall durch die Luft schleudert. Alles danach ist ein wirrer Nebel – brennender Schmerz, Gefluche, grobe Hände, ein holpriger Transport.
    Ich öffne die Augen und sehe in einen Kreis von Gesichtern, die mich anstarren. »Er lebt!«, sagt jemand, und es bricht lauter Jubel aus. Der rotgesichtige Polizeiinspektor Barokov fällt neben mir auf die Knie, untersucht meinen Körper auf Verletzungen und hält dann inne, als seine Hände auf meine steife Prothese stoßen.
    »Es scheint nichts gebrochen zu sein«, meldet er. Wieder Jubel und Applaus, aber nicht genug, um die Sirenen und das Prasseln der Flammen zu übertönen, die jetzt mit neuer Heftigkeit lodern. »Sie haben sie gerettet!«, sagt eine andere Stimme.
    Ich setze mich auf und stütze die Ellbogen auf die Knie. Ich sitze auf einer Bahre auf der Straße vor dem zerstörten Gebäude. Ich kann nicht richtig Luft holen. Alles tut weh. Mein

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