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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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Lichtstrahl stößt, und dann, fast im selben Moment: Du bist tot – mit gedämpfter Stimme, aber in breitem, akzentfreiem Russisch, wie ich es jetzt vor meinem inneren Ohr höre.
    Der General steht auf und schwankt zu einer brummenden Kühltruhe auf dem Steinfußboden neben seinem Schreibtisch. Er holt eine vereiste Flasche Wodka heraus und schenkt sich großzügig in ein Wasserglas ein. Dann setzt er sich wieder an seinen Tisch, wo er das tropfende Glas in seinem Schoß hält.
    »Irgendetwas stimmt hier nicht, Volk«, sagt er in einem Ton, dass ich mich unwillkürlich aufrechter hinsetze. »Zu viele Dinge passieren, zu plötzlich.«
    Ich sage nichts. Etwas scheint in ihm vorzugehen.
    »Der Anruf von Lachek ist ernst, nehme ich an, und...« Erbricht ab.
    Fast eine Minute vergeht schweigend, während ich in Gedanken eine Liste aller Dinge zusammenstelle, die auf das Wort und folgen könnten. Ein roter Punkt in der Größe eines Laservisiers blinkt auf einer Elektroniktafel, die unter drei Telefonapparaten auf seiner Anrichte hängt. Er starrt darauf, wie versteinert, und stößt dann ein tiefes Knurren aus.
    »Was weißt du über die kaiserlichen Ostereier?«, fragt er.

4
    Der General hatte mich schon mal nach diesen Eiern gefragt, direkt nachdem Valja weg war. Sein Interesse an ihnen überrascht mich nicht. Aber der Zeitpunkt ist so unerwartet, dass mir auf Anhieb keine Antwort einfällt. Er starrt immer noch auf das rote Blinklicht und wartet.
    »Nur wenig«, lüge ich und frage mich, warum dieses Thema wichtiger sein sollte als der Anschlag.
    »Fabergé produzierte fünfzig Eier für die Zaren Alexander III. und Nikolaus IL, das erste davon 1885. Fünf davon sind angeblich während der Revolution oder in der unruhigen Zeit danach verloren gegangen.«
    All das weiß ich natürlich. Genauso wie ich weiß, dass die Eier ein unschätzbarer Teil unserer eigenen Kulturgeschichte sind und nicht die Ausbeute von Eroberungen in westlichen Ländern oder Mitbringsel der Zaren.
    Das rote Licht hört auf zu blinken.
    Der General stellt den Drink, den er bislang nicht angerührt hat, zur Seite, zieht ein offenes Buch zu sich heran und setzt eine Lesebrille auf. »Die kaiserlichen Eier sind ›kostbare Kleinode, so perfekt gearbeitet, dass sie die Goldschmiedekunst zu neuen Höhen erhoben.‹« Er nimmt die Brille ab und sieht mich ruhig an. »Was glaubst du, sind sie wert?«
    Ich weiß aus Erfahrung, dass er nichts Idealistisches darüber hören will, wie unbezahlbar die Eier seien. »Zig Millionen. Jedes Einzelne.«
    Der rote Punkt pulsiert wieder, mittlerweile nachdrücklicher, wie mir scheint.
    »Vor sechs Monaten habe ich beschlossen, sie zu finden.« Er betrachtet das Blinklicht, als rede er mit ihm statt mit mir, während ich mich frage, wen er mit der Suche beauftragt hat. Unter normalen Umständen wäre das mein Job gewesen, aber ich war in letzter Zeit nicht gerade sein bester Mann.
    »Hauptmann Dubinin hat nur eins ausfindig machen können«, sagt er und beantwortet damit meine unausgesprochene Frage.
    Hauptmann Dubinin ist ein weiteres Mitglied seines handverlesenen Kaders von Schattenkriegern, mein etwas saubererer Doppelgänger, der mich offenbar abgelöst hat.
    »Er hat das zweite gefunden«, fährt der General fort. »Das Hennen-Ei mit dem Saphir-Anhänger. Der Anhänger fehlte.« Sein Blick bohrt sich in meine Augen. »Das Ei wurde gestohlen, heute Nachmittag.«
    »Wie das?«
    »Dubinin und sein Fahrer wollten es in die Rüstkammer des Kreml bringen. In einem gepanzerten Koffer. Der Hauptmann und seine Männer wurden entführt und getötet, irgendwo zwischen hier und Wladimir, nachdem sie das Ei gegen Cash eingetauscht hatten.«
    »Wer hatte das Ei?«
    »Khanzad.«
    Den Namen kenne ich, den Mann nicht. Unter Geheimdienstlern nennt man ihn auch den »falschen Tschetschenen«. Er wird oft von westlichen Journalisten in Tarnuniform mit gekreuzten Patronengurten und Handgranaten fotografiert; der spitze Bart und die Hakennase lassen ihn bedrohlich aussehen. In Wirklichkeit gehört er zum Gunoi-teip, einem Klan im Nordosten Tschetscheniens, er ist Antiseparatist und kremlfreundlich und, wenn es ihm gerade passt, ein Geschäftemacher, der noch seine eigene Seele verkaufen würde. Valjas Familie entstammte einer Splittergruppierung desselben teip, die viele für das Produkt von Mischehen zwischen Tschetschenen und Russen halten. Abreg, meine persönliche Nemesis, stammt vom Benoi-teip ab, so wie viele andere

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