Im Schatten des Ringes
zu verbrennen. Rellar hatte mich nicht um eine neue Route gebeten, sondern wünschte nur eine gute Karte von der bereits existierenden Strecke. Doch ich wußte, daß eine alternative Route, vor allem wenn sie bequemer und kürzer war, den Wert der Karte erheblich steigern würde. Mein Meister war kein reicher Mann. Ich nickte Teon zu. „Ich kann nur hoffen, daß dieser Strand nicht auch noch eine Halbinsel umschließt.“
„Wenn wir uns getäuscht haben, dann sagt nicht, daß Ihr mir geholfen habt“, bat Teon.
„Was wird er mit dir tun?“
Teon zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Bisher hab’ ich mich noch nie geirrt.“
Ich tat weitaus mehr, als nur meine Augen offenzuhalten und nach irgendwelchen Anzeichen Ausschau zu halten. Ich zählte unsere Schritte nach links und nach rechts, wenn der Strand einen Schwenk machte, und addierte und subtrahierte in einem fort, so daß ich eine ungefähre Vorstellung davon bekam, in welchem Winkel zu den Bergen der Strand verlief. Ich prüfte sorgfältig den Wind, denn sehr oft kann ich an seinem Duft feststellen, über welches Land er geweht ist, indem ich den Geruch identifiziere. Auch das gab mir einen Eindruck von der eingeschlagenen Richtung, und ich wurde immer zuversichtlicher, daß wir nicht auf einer Halbinsel dahinmarschierten. Kurz vor Anbruch der Nacht fand ich einen Fetzen Fischernetz, doch das hätte auch durchaus vom Meer angespült worden sein können. Dann fand ich einen Haufen Stroh, das jemand zerkleinert haben konnte, um ein Feuer anzuzünden. Teon, den ich auf meine Beobachtung aufmerksam machte, gab das Zeichen, sich landeinwärts zu wenden. Voller List wich er einer eindeutigen Aussage aus und erinnerte Baltsar daran, daß seine Sehfähigkeiten durch die hereinbrechende Dunkelheit stark beeinträchtigt würden. Ich schlug vor, am Strand einen Wegweiser zu errichten, ehe wir ihn verließen, und Baltsar war damit einverstanden.
Wir wanderten auch nach Einbruch der Nacht weiter, denn der Untergrund war nahezu eben, und es fiel den Sklaven nicht schwer, sich vorwärtszutasten. Doch als die Sklaven müde wurden, verringerte sich auch unser Tempo, und schließlich ließ Baltsar uns anhalten. Ich hoffte inständig, die Frühglut würde uns einen klaren Himmel oder wenigstens hohe Wolken zeigen.
Dies geschah jedoch nicht. Ein neuer Sturm überfiel uns, und jetzt erkannte sogar Baltsar, daß Teon in dem dichten Nebel nichts mehr erkennen konnte.
„In den Bergen weiß man wenigstens, wo man ist, entweder auf einer Bergspitze, von der man nicht absteigen darf, oder in einer Schlucht, in der man das Unwetter abwarten kann, doch dies hier …“ Er machte eine hilflose Geste. „Wußtest du, daß deine Stadt schon ein Jahr früher gefallen wäre, gäbe es nicht diesen Nebel?“
„Wir können aber trotzdem weitermarschieren“, sagte ich. Der Kaufmann blickte mich erwartungsvoll an. „Wir gehen nur nach Sicht und zwar in einer langen Reihe, so daß wir nicht im Kreis wandern.“
Baltsar senkte den Kopf, legte die Ohren an, um mit sich selbst zu Rate zu gehen. Ich wartete geduldig. Schließlich hob er den Kopf. „Ich glaube, das ist auf jeden Fall besser, als darauf zu warten, daß das Wetter sich bessert, und überdies kennen wir ja die Generalrichtung.“
Ich hatte den Eindruck, daß Baltsar schon bedauerte, den Weg am Meer entlang gewählt zu haben und daß er sich in der Wüste wahrscheinlich wohler gefühlt hätte, welche, auch wenn sie weitaus schwieriger zu überwinden war, ihm wenigstens vertraut war. Ich hoffte nur, daß Teons willkürliche Entscheidung, das Meer zu verlassen, am richtigen Punkt erfolgt war. Die Stelle stimmte nahezu mit meinen Berechnungen überein, jedoch unterlagen meine Methoden der Gefahr eines Rechenfehlers, und außerdem bezog ich einen Teil meiner Informationen aus dem Spiel des Windes.
„Und wenn wir uns getäuscht haben?“ flüsterte ich ihm bei der nächstbesten Gelegenheit zu.
Teon schüttelte den Kopf. „Ich hab’ angefangen, meine Schritte zu zählen, als ich die Berge aus den Augen verlor. Unsere Richtung dürfte stimmen. Deshalb solltet Ihr ja nach der Stelle Ausschau halten, an der wir vom Meer abbogen.“
Ich war überrascht. Ich glaubte, ich allein würde diesen Trick kennen. Beigebracht hatte ihn mir Rellar, der ihn in weitaus kleinerem Rahmen anwendete, wenn er in der Stadt unterwegs war. Rellars Gehirn konnte lange Zahlenkolonnen verarbeiten, indem er sie einfach vor seinem geistigen Auge
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