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Im Schatten des Ringes

Im Schatten des Ringes

Titel: Im Schatten des Ringes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Felice
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und standen im Mittelpunkt, während einige der populären Kriegsgötter in Nischen entlang der wassertriefenden Galerie zu finden waren. Die Darstellungen waren kunstlos, die Wände kahl, und der Boden bestand aus festgetretenem Dreck. Dies war so ganz anders als der Tempel meiner Heimatstadt, welcher vom Hauptsaal bis hinab in die Katakomben mit Mosaiken, Wandbehängen und Gemälden reich geschmückt war. Hinter dem Altar befand sich die Traumkammer, in die ich einen Blick warf. Sie war auch nicht hübscher.
    Das Lager des Träumers war von einem kleinen Kind besetzt, das derart unter Drogen gesetzt worden war, daß es sich nicht am Gestank seines Lagers und an der mangelhaften Belüftung störte. Duftender Rauch überdeckte den Uringestank nur unzureichend und bewies, daß hier Traumdrogen maßlos genossen worden waren. Eine Hüterin, deren Kleidung unordentlich und schmuddelig war, stieg über Haufen alten Mooses, um das Kind zu betrachten. Eine andere drehte emsig am Klappenrad, wodurch die Augen des Kindes einem ständigen Wechsel zwischen hellem Licht und Dunkelheit ausgesetzt waren.
    „Du übersiehst gewisse Einzelheiten“, sagte die Hüterin, und ihre Stimme klang ernst und eisig. Das mit Drogen vollgepumpte und in Trance befindliche Kind starrte ins Licht; seine tränenden Augen ließen durch keine Reaktion erkennen, daß es die Worte verstanden hatte. Die Hüterin kniff es ins Ohr, um sich zu überzeugen, daß die Trance nicht zu tief war. Das Ohr zuckte. Zufrieden sagte die Hüterin: „Schau wieder in deinen Traum und beschreib mir alles, was du siehst.“ Ihre Ohren wandten sich dem Kind zu, doch ihr Schwanz ringelte sich gleichgültig. Zweifellos war sie nicht dort, wo sie am liebsten sein wollte, und tat etwas, was sie nicht tun wollte, eine traurige Haltung für eine Hüterin während eines Traums. Ich bin sicher, sie hatte nicht bemerkt, daß jemand ihr zuschaute, sonst hätte sie sich bestimmt anders verhalten.
    „Ich führe dich“, sagte das Kind mit leiser Stimme.
    „Tatsächlich“, sagte die Hüterin in einem Tonfall, als machte sie sich über den Traum lustig. „Wohin führst du mich denn?“
    „Ich weiß es nicht“, erwiderte der Junge.
    Ungeduldig zuckte der Schwanz der Hüterin. „Bist du in der Stadt? In den Bergen? Schau dich um, Kind!“
    Leer blickende Augen rollten, und das Kind meinte: „Ich weiß nicht. Das Licht schmerzt in meinen Augen.“
    „Das Licht?“ Die Hüterin schüttelte den Kopf. „Schon wieder redet er nur vom Licht, dabei ist das nur ein kleiner Teil meiner Vision.“ Dann schaute sie hinüber zu der Hüterin am Klappenrad. „Wenn dieser Nichtsnutz dazu bestimmt ist, mich durch das Immernachtgebirge zu führen, dann brauche ich mich nicht zu wundern, wenn ich niemals nach Hause zurückfinde.“
    „Vielleicht beschäftigt sich sein bewußter Geist immer noch mit den Traumlichtern“, sagte die andere Hüterin.
    „Dann hast du mir keinen geeigneten Träumer beschafft.“
    „Aber er hat dich erkannt, und sein Fell ist gestreift, wie es nach deiner eigenen Schilderung bei der Pfadfinderin in deinem Traum der Fall war.“
    Die Hüterin legte die Hand auf das Klappenrad und stoppte es. Dabei murmelte sie etwas über Träume und Narren und besserwisserische Gleichrangige. Dann verließ sie die Kammer. Die zurückbleibende Hüterin funkelte das Kind wütend an, als wäre es für seine Visionen verantwortlich … oder deren Ausbleiben.
    Ich war angewidert, denn das Kind war zu jung, um zu erkennen, ob es einen inspirierten Traum oder nur einen angenehmen hatte, und selbst wenn er inspiriert war, war das Kind noch zu jung, um zu begreifen, was es hieß, einen solchen Traum mit einem anderen Menschen zu verknüpfen. Wenigstens war die Zeremonie nicht vollständig ausgeführt worden, denn keine der Hüterinnen hatte sich ebenfalls unter Drogen gesetzt und sich zu dem Kind aufs Lager gelegt. Aber ich dachte über die Ethik der Hüterinnen des Tieflands nach … noch seltsamer und verwerflicher als die der Hüterinnen im Tafelland.
    Ich verließ den Tempel, ohne auch nur eine meiner schönen Muscheln auf einem der Altäre zu deponieren, und folgte dem Duft von Koniferenöl und ungeräucherten Fellen zum Marktplatz, wo Baltsar mich erwartete.
    „Ich habe nach dir gesucht, Heao“, stieß er atemlos hervor. Ich lächelte selig. „Ich war im Tempel und habe zugeschaut, wie ein Traum abgefragt wurde. Der Versuch schlug fehl, weil der Träumer sein Bewußtsein nicht

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