Im Schatten des Ringes
so gut wie erwachsen. Ihre Geister sind nach dem Standard des Tieflands erzogen.“
„Sie sind intelligent und neugierig“, stellte ich gerechterweise fest. „Zweifellos wurden sie für ihre zukünftige Rolle sorgfältig ausgesucht.“
„Ihre Loyalität wird stets dem König gehören“, sagte Rellar, „und vielleicht sogar in gleichem Maße auch dem Tempel. Wir wissen nicht, inwieweit Tarana bei ihrer Auswahl ihren Einfluß geltend machen konnte.“ Rellar senkte den Kopf, als er mit schweren Schritten die Länge der Kammer durchmaß. Die Matte war im Laufe der Jahre und dank der unzähligen Schritte, die Rellar auf ihr zurückgelegt hatte, zerschlissen und fadenscheinig. Er blieb stehen und berührte mit der Nase fast die Wand. Eine polierte Stelle schimmerte dort, wo sein Schwanz entlangstrich, wenn er sich umdrehte. „Wir sollten die Münzen nicht annehmen“, warnte er. „wenn wir es tun, was kann dann den Tempel davor schützen, daß man uns mit Akoluthen überschwemmt?“
„Du zerbrichst dir über eine Sache den Kopf, die durch nichts angekündigt wird“, sagte ich.
„Glaube ja nicht, daß Tarana nicht ebenso auf die Zukunft spekuliert. Mittlerweile weiß sie, daß Akadem die Autorität des Tempels oft genug untergräbt …“
„ … wenn auch nicht allein durch unsere Schuld. Wir versehen unser vergängliches Leben mit theoretischem Wissen und steigern damit unseren Lebensstandard. Sie geben unseren Seelen hypothetische Ideale und erweitern dadurch unsere Vorstellungen vom Himmel auf Erden. Wenn sie genauer hinschauten, würden sie erkennen, daß unsere Ziele nahezu dieselben sind; nur die Methoden, sie zu erreichen, sind unterschiedlich.“
Rellar blieb stehen. Er schien über meine Schulter auf das Bündel frisch gegerbter Häute zu blicken. „Ich werde die Münze zurückgeben und den Jungen fortschicken“, erklärte er abschließend.
An der Haltung seines zerzausten Schwanzes konnte ich erkennen, daß weitere Argumente völlig nutzlos waren. „Wann?“ fragte ich. Seine Handlungsweise konnte unangenehme Folgen nach sich ziehen, und ich lebte immerhin noch in seiner ärmlichen Behausung und gehörte irgendwie noch immer zu ihm. Dann, als ich die Münze in meinem Gürtel verstaute, wußte ich, daß der Zeitpunkt, den er wählen würde, für mich nicht so wichtig war, so daß ich den Konsequenzen entgehen konnte, sondern daß ich stark genug wäre, sie mit ihm zu teilen. Akadem war schon seit zu vielen Generationen immer offen und ehrlich gewesen, um jetzt auf Grund der Laune eines neuen Königs mit Ausflüchten und Vorwänden zu arbeiten.
„Ich glaube, ich werde warten, bis der König ins Tafelland kommt. Ich verhandle lieber mit ihm als mit Tarana.“
„Er ist gerade hier.“ Das war Chels Stimme, die vom Eingang her erklang. Er war so leise herangekommen, daß noch nicht einmal Rellar ihn gehört hatte. Ich fragte mich, wie lange er uns wohl schon zugehört hatte. „Soeben ist ein Läufer vom Paß heruntergekommen … in einigen Zeitstücken wird er hier eintreffen.“ Nervös klopfte mein Prinz sein Cape aus, das von der Gischt der See und vom Regen triefnaß war. Er kam zu mir und drückte mir eine Münze in die Hand.
Es war eine ungewöhnlich formelle Geste. „Was willst du von mir?“
„Wissen über den König“, erwiderte er. „Ich werde sein Gastgeber sein, da ich die einzige angemessene Behausung bewohne.“
„Eine Ehre“, sagten Rellar und ich gleichzeitig. Prinz Chels Festung war zwar nicht das neueste Bauwerk im Tafelland, jedoch war der Bau neben dem Tempel der luxuriöseste.
Chel nickte, doch er wirkte bedrückt. „Wie soll ich ihn versorgen? Was brauche ich, damit er sich wohlfühlt? Welche Speisen mag er? Lagert er alleine?“ Mit einem gequälten Ausdruck im Gesicht beugte er sich zu mir. „Du bist die einzige Person, der ich vertrauen kann, die ihn bereits persönlich kennengelernt hat. Wie soll ich mich verhalten?“
Chel war außerordentlich beunruhigt, denn er hatte seine Position als Herrscher über unsere Gemeinschaft einfach deshalb zugewiesen bekommen, weil die Führer der Besatzungsmacht es für ratsam gehalten hatten. Der König konnte Chels Autorität ausbauen, konnte sie ihm jedoch auch aus einer Laune heraus wieder wegnehmen. Ich gab Chel die Münze zurück. „Gib sie beim Kaufmann Baltsar aus. Seine Bekanntschaft mit dem König ist älter, und er kann ihn viel eher einschätzen als ich, die ich nur einmal kurz mit ihm gesprochen
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