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Im Schneeregen

Im Schneeregen

Titel: Im Schneeregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schenk
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will sinnvoll angelegt werden. Und er kennt ein paar, die haben die Schweiz verlassen, weil es die Arbeit erforderte. Schwitter beneidet beide um ihre Entschlusskraft – die gegangen sind und die sich fest eingerichtet haben.
    Da vermag Schwitter einzelne Schneeflocken zu erkennen, unruhig treiben sie durch die Luft. Frech mischen sich die Kristalle unter den Regen, aggressiv kommen sie ihm heute vor, zeigen ihre scharfen Kanten, stoßen ins feindliche Terrain vor, ein frontaler Angriff, ohne Deckung, prompt wird die Vorhut zerrieben, auch nachrückende Einheiten werden zurückgeschlagen, die Tropfen haben ihre Abwehrlinien formiert, Wälle, Sperren und Gräben angelegt, locken in Hinterhalte, lassen Geschosse platzen, bringen zum Schmelzen, was sich ihnen in den Weg stellt, und schwemmen es weg, die Flocken aber geben nicht auf, für jeden gefallenen Soldaten stellen sich drei neue dem Kampf, Welle um Welle rollt heran, begünstigt vom Wind stoßen immer neue Verbände nach, schon stehen die Kristalle kurz davor, die Übermacht zu erringen, doch plötzlich stoppen sie den Eroberungszug, es geht ihnen nicht um den Sieg, es genügt ihnen, die Hälfte des Geländes eingenommen zu haben. Es fällt jetzt ebensoviel Schnee wie Regen, das Gleichgewicht der Elemente ist hergestellt, das Ziel des Angriffs erreicht, und so abrupt, wie der Kampf begonnen hat, geht er zu Ende, die Waffen werden niedergelegt, die Fronten lösen sich auf, Ruhe kehrt ein, fest und flüssig, in diesem Moment halten sie sich die Waage, die Konturen sind gebrochen, die Umrisse verwischt, das Ungefähre dominiert, alles ist in der Schwebe.
    Von außen wirkt sein Leben stabil, seit über fünfzehn Jahren die gleiche Wohnung, seit zehn Jahren bei der gleichen Bank. Dass er vor drei Jahren gekündigt hat, wissen die wenigsten, wer arbeitet heute noch länger an einem Ort. Er fuhr nach Malaga, um Spanisch zu lernen, dann meldete er sich bei einer Temporärfirma, nicht wegen des Geldes, er hat Reserven, so kam er zu Caritas, vor dem Verhungern konnte er niemanden retten, er saß einen Monat vor einem Bildschirm und überprüfte Mitgliederadressen. Beim dritten Einsatz, der ihm vermittelt wurde, kam er zu seiner alten Bank, in die gleiche Abteilung, sie hatten seine Stelle noch nicht besetzt, scheint Ihr Schicksal zu sein, meinte die Frau vom Personaldienst. Er fühlte sich frei, Kündigungsfrist nur eine Woche, er konnte jederzeit wieder gehen, ohne zu sagen, weshalb. Und er hatte einen neuen Chef bekommen, fünf Jahre jünger als er.
    Schwitter hat nie viel geredet bei der Arbeit. Wird im Pausenraum politisiert oder über abwesende Kollegen hergezogen, hört er zu, allenfalls bewegt er den Kopf ein wenig, um Zustimmung anzudeuten. Du kannst dich einfach nicht positionieren, sagt sein Chef. Was nicht nur am Bedürfnis nach Harmonie liegt, es fehlt ihm an Überzeugungen. Nach einem Jahr musste er sich fest anstellen lassen, die internen Regeln erlaubten keine Ausnahme, dein Know-how ist wichtig, sagte sein Chef, bringt Stabilität in unser junges Team, jetzt, wo alle auf den Absturz warten. Schon vorher hatte Schwitter wieder den gleichen Arbeitsplatz zugewiesen bekommen, neben dem Tisch stand der gleiche Gummibaum, und er übernahm die meisten seiner alten Kunden.
    Auch mit Beatrice waren die Veränderungen nur vorübergehend. Zwei Glas Wein hatte er vor Aufregung schon getrunken in der Bar, als sie endlich gekommen war, hatte er sie zuerst nicht erkannt, sie trug ihre Haare offen, im kurzen Rock, den sie über der Jeans trug, wirkte sie größer als im Zug, ganz natürlich kam sie an seinen Tisch, hielt ihm die Wange für einen Begrüßungskuss hin, schön, dass du gekommen bist, sie duzte ihn ganz selbstverständlich, während er sich ihr Parfum einprägte. Dass er den ganzen Abend nicht gähnen musste, wertete er als gutes Zeichen. Als Beatrice sagte, sie hätte noch Hunger, war es bereits nach Mitternacht. In den folgenden Wochen verzichtete er auf eine Reservation, wenn sie abends etwas essen gingen oder in ein Konzert, sie fuhren ins Tessin, ohne ein Hotel zu buchen, es war nach Mitternacht, bis sie ein Zimmer fanden, direkt am See, sie fragten nicht einmal nach dem Preis, als Beatrice die große Badewanne sah, ließ sie Wasser einlaufen, ob andere schon schliefen, war ihr egal, und er sagte nichts, sondern zog sich ebenfalls die Kleider aus. Am Montag darauf kam er zu spät ins Büro, ihr Auto war kaputtgegangen. Und dann eines Abends, sie hatten

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