Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schneeregen

Im Schneeregen

Titel: Im Schneeregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schenk
Vom Netzwerk:
paar unverständliche Worte zu hören, Panikgeflüster. Schwitter musste helfen, er hatte bereits die Glocke betätigt, aber das war zu wenig, er griff nach dem Plastikbeutel, in den sein Wundwasser abfloss, stand vorsichtig auf, trat auf den Gang, schrie, endlich eilte eine Schwester herbei, kurz darauf ein Arzt. Eine Spritze sollte Linderung verschaffen, erst nach der dritten oder vierten aber kehrte Ruhe ein, Morphium, beantwortete die Schwester Schwitters fragenden Blick, dann schob sie das Bett aus dem Zimmer. Als Schindler am übernächsten Tag wieder zurückgebracht wurde, waren seine Gesichtszüge weich. Er brauche sich nicht vor dem Ersticken zu fürchten, habe ihm der Arzt erklärt, sagte er, alles sei eine Frage der Medikamente, hier verstehe man es, die Atmung ins Gleichgewicht zu bringen, in der richtigen Dosierung ließe sich selbst hartnäckigste Atemnot verjagen, seine Erregung werde sich schnell legen, da könne er sicher sein. Zwei Wochen später war er dann friedlich eingeschlafen, so stand es in der Todesanzeige.
    Er wundert sich über die ausgesparten Kreise unter den freistehenden Bäumen, wie Schattenwurf heben sie sich vom umgebenden Weiß ab. Bald werden Kinder nach draußen drängen, um Schneemänner zu bauen, die Eltern werden von ihren Wohnzimmern aus zusehen und lächeln. Freude am Schnee wird gern gesehen. Eine kleine Verschiebung seiner Präferenz, eine Abkühlung um ein paar Grad, vom Schneeregen in den Schnee gewechselt, und schon wäre sein Ausflug als harmloser Zeitvertreib durchgegangen. Er sei dem Schnee gefolgt, da käme niemand und würde Fragen stellen, ein Unglück wittern, nur weil er sich an einen Baum gelehnt und, in Beobachtungen versunken, die Zeit vergessen habe. Ein Mensch, der sich für Pulverschnee interessierte, fiele niemandem auf, ein Mensch, der sich im lockeren Neuschnee herumtriebe, wäre keinem suspekt. Glitzerschnee ist nicht anrüchig. Am Glimmer, an himmlischer Verzuckerung könnte er sich unbehelligt freuen, eine Neigung zum Kitsch wird gern gesehen, würde auch bei Schwitter gern gesehen. Aber ihm wird ganz Sturm ob dem Geflunker.
    Warum nur haben sie ihm den Gruber weggenommen? Der blühte doch völlig auf, kaum dass er von der Exkursion zu hören gekriegt hatte. Wer weiß, wie lange dem schon nichts Richtiges mehr erzählt worden ist, wird einem ja ausgetrieben hier, machen Sie mir keine Geschichten, heißt es nur, wenn man scheu den Wunsch äußert, im feuchten Gras kneipen zu wollen. Schade um den Gruber, der hätte noch einmal etwas erleben können, ja nützlich machen hätte er sich können, am Fenster stehen, aufpassen mit einer Gewissenhaftigkeit, die ihm zuzutrauen war, so etwas spürt man intuitiv, wenn man sich auf jemanden verlassen kann. Hier oben am Fenster, es gibt keinen besseren Beobachtungsposten, Ausblick bis in die nächste Geländekammer. Was immer sich ihnen nähern sollte, sie würden es kommen sehen. Den Wachplan hat Schwitter schon im Kopf, alle vier Stunden wird tagsüber der Posten gewechselt, in der Nacht schon nach zwei Stunden. Er war nicht umsonst bei der Fliegerabwehr gewesen, hatte sich zum Beobachter ausbilden lassen, feindliches Flugobjekt Richtung drei Uhr, hörte er sich erregt ins Funkgerät schreien. Gruber, der hätte das rasch begriffen, einen tadellosen Wachbetrieb hätten sie aufgezogen zusammen, kein Tropfen wäre zu Boden gegangen und keine Flocke, ohne dass sie es im Journal vermerkt hätten.
    Denken die eigentlich, mit seiner Lunge sei schon alles wieder in Ordnung? Ein bisschen im Bett liegen und alles werde gut? Nicht mit ihm. Wenn er schon einmal hier ist, hat er Anrecht auf eine angemessene Behandlung. Inhalieren ist das Mindeste. Er kann schon etwas nachhelfen, und so humpelt er ins Bad, kontrolliert seine Uhr, zieht das Nachthemd aus, steigt in die Dusche, dreht den Hahn auf. Der Strahl trifft ihn, es ist nicht unangenehm, doch jetzt wird das Wasser kälter, reflexartig verschränkt er die Arme vor der Brust, er darf es sich aber nicht zu leicht machen, lässt die Arme wieder hängen, nun spürt er, wie sich sein Brustkasten verengt, er muss kräftiger atmen und bekommt doch kaum Luft, sein Herz schlägt schneller, es fällt ihm schwer, ruhig stehenzubleiben, lieber würde er mit den Füßen stampfen, das heißt mit dem einen, unversehrten, und mit den Armen rudern, um die Zirkulation anzuregen, aber er bleibt stehen, atmet angestrengt, bis ihm schwindelt, er tastet mit der Hand nach dem Seifenspender,

Weitere Kostenlose Bücher