Im Schneeregen
Tropfen zu Boden gehen, wie leicht sich die Flocken geben, elegant, man könnte sagen anmutig, dabei Gefallen gefunden an dieser Verbindung auf Zeit, dabei auch ein bisschen über die Vergänglichkeit nachgedacht, wie rasch doch die ganze Pracht zerfällt, für einen Moment an eine stämmige Tanne gelehnt, dem Rhythmus der Tropfen gelauscht, darauf dann irgendwie und erstaunlich plötzlich in den Schnee geraten, schwer und knöcheltief.
Der Knöchel, das ist das Stichwort, an dieser Stelle wird er die Bettdecke mit Schwung zurückschlagen, der Professor wird Augen machen, die Blätter seines Rapportblocks werden flattern, und Schwitter wird mit fester Stimme sagen: Apropos Knöchel, könnten Sie bitte einmal meinen Fuß anschauen, irgendwie muss ich ihn übertreten haben, hier die Schwellung, gut zu erkennen, und warm fühlt es sich auch an. Das wird den Professor in Verlegenheit bringen, weshalb ist das keinem aufgefallen im Notfall, wird er denken, sollen schließlich gründlich untersucht werden, die Körper, die zu ihnen kommen. Vielleicht ist etwas abgesplittert, also gleich ins Röntgen mit dem Mann, Ende der Befragung, Schluss mit dem Examen. Heikel nur, wenn der Herr Professor die Schmerzen übergeht und fragt, wie ist es denn zu diesem Malheur gekommen, können Sie sich daran erinnern? Also, wohl oder übel, man kennt die Beharrlichkeit der Mediziner, den Faden nochmals aufnehmen: Kaltwind fegt durch den Wald, kurz eingenickt, und schon liegt die Landschaft weiß und weich vor einem, Erstaunen über den Temperatursturz, die Anstrengung, Mittag längst vorbei, Müdigkeit, ausdauernde Wanderer fällt sie von hinten an, ohne Schutz und Orientierung, ein Kompass wäre nützlich, mit Sackmesser und Thermosflasche ist nicht viel auszurichten, kurz überlegt umzukehren, doch statt lange nach Spuren zu suchen besser direkt ins Tal, die Höhenlinien schneiden, sich einem Bachbett anvertrauen, in einer unruhigen Bahn führt es hinab, achtgeben auf die Steine, die unter dem Schnee liegen, stur weiter, die Schritte nicht zählen, das Tobel nimmt kein Ende, dabei ist bereits viel Höhe vernichtet, müsste wärmere Luft vorherrschen, Regen statt Schnee, der Bach müsste eine Fahrstraße kreuzen, doch immer weiter, man möchte sich kurz hinsetzen oder gar umkehren, in bekanntes Gebiet zurück, aber nichts da, die Gedanken ans Aufgeben verscheuchen, weiter, die Schritte zählen, ein, zwei, drei, bis fünfzig, kurz stehenbleiben, nochmals bis fünfzig und nochmals, jeder Bach gehorcht der Schwerkraft, auch dieser, also noch einen Schritt und noch einen. Und dann, ja, lieber Herr Professor, dann ist es doch passiert, nicht auf die Füße geachtet, auf einem Stein ausgerutscht, lag unter dem Schnee verborgen, eingeknickt, das Gleichgewicht verloren und hingefallen.
Tannengrün und Spielzeugrot sind verblasst, der Park liegt in schwarzen und weißen Tönen vor ihm. Er steht am Fenster und kann mit seinen Augen die Wiese durchmessen. Wieder hat er geschlafen, wieder hat er es verpasst, als aufgeräumt wurde. Der Inhalierapparat ermahnt ihn an die versäumte Therapie, nicht einmal das Fieber wurde gemessen. Was hatte die Schwester gesagt, als sie das Essen brachte, das wird ihnen guttun? Hat sie gemeint, damit werde er für die nächsten paar Stunden Ruhe geben? Ein Beruhigungsmittel in die Bouillon zu geben, das wäre ihr zuzutrauen, wäre allen hier zuzutrauen. Aber das lässt er sich nicht gefallen, gegen seinen Willen versetzt ihn niemand in den Schlaf, das wird jetzt sofort gemeldet. Er zieht sich am Griff hoch und drückt die Klingel. Seine Halsschlagader pocht aufgeregt, der Kreislauf ist überrascht von der Entschlossenheit, mit der Alarm geschlagen wurde. Aus einem Impuls heraus hat er es getan, es hat ihn keine Überwindung gekostet. Im Abteilungszimmer wird nun ein Warnton erklingen, die Schwestern blicken sich an, eine schreckt auf, dann ihre Schritte, rasch kommen sie näher. Er hält die Luft an, um kein Geräusch zu verpassen, das von draußen zu ihm dringt. Doch nichts ist zu hören, als wären alle nach Hause gegangen, als hätten sie ihn vergessen. Er könnte ersticken, nach Luft ringen, wie Schindler damals, Mund und Augen aufgerissen, am Bettrand sitzend, die Arme aufgestützt, in die Länge gezogene Geräusche beim Ausatmen, nur unterbrochen, wenn er etwas Luft einzuziehen versuchte, immer wieder das Husten, kraftlos, wie in Zeitlupe gedehnt, allein das Zuhören rief Schmerzen hervor, zu Beginn waren ein
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