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Im Schneeregen

Im Schneeregen

Titel: Im Schneeregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schenk
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zusammen gekocht, da räumte er die bereits halbgefüllte Geschirrspülmaschine aus, griff nach den schmutzigen Tellern und stellte sie auf die Abdeckung, was machst du da, fragte sie, dabei konnte sie genau sehen, was er tat. Die Teller, sagte Schwitter, der Größe nach, Löffel und Messerklinge nach oben, wird sauberer so und geht erst noch schneller beim Ausräumen. Auch für ihren Kühlschrank begann er Verantwortung zu übernehmen, aß Wurstwaren, Streichkäse und was sonst noch vor dem Verderben zu retten war. Wer die Kontrolle über die kleinen Dinge des Alltags verliert, hätte er ihr sagen können, dem droht früher oder später alles zu entgleiten.
    Was machen Sie in diesem Sessel? In Ihrem Zustand gehören Sie ins Bett. Die Sätze, hell an den Wänden aufschlagend, zielen auf Schwitter. Bloß weil er ein bisschen ins Wetter versunken ist. Er bleibt sitzen, stellt sich schlafend, wartet darauf, eine fremde Hand auf seiner Schulter zu spüren, Rascheln der Bettdecke, Herr Schwitter, aufwachen, bereits freundlicher im Ton, ich bringe Ihnen das Mittagessen, Sie haben ganz glänzende Augen, sagt sie, wir sollten nochmals Fieber messen, kann nie schaden, Sie gehören wirklich ins Bett, denken Sie an Ihre Bronchien, ich habe das Essen bereits auf den Serviertisch gestellt. Sie greift nach der Decke und legt sie aufs Bett zurück. Hätten Sie vielleicht noch Zeit, mir dieses Gerät hier zu erklären, fragt Schwitter, bevor die Pflegerin geht, nur ganz kurz, tut mir leid für die Umtriebe, ich habe dummerweise geschlafen, als es gebracht wurde, dabei hätte ich schon längst mit Inhalieren beginnen sollen. Das kann warten bis zum Nachmittag, sagt sie, essen Sie jetzt, das wird Ihnen guttun. Was ist mit der ärztlichen Verordnung, möchte Schwitter entgegnen, man kann sich doch nicht einfach darüber hinwegsetzen, zehn Uhr ist zehn Uhr, und am Nachmittag ist Visite. Doch schon ist er wieder allein.
    Der Professor wird überrascht sein, wenn er ihm den Fuß zeigt. Schmerzt noch immer, wenn er ihn bewegt, die Schwellung ist unverändert, vielleicht ein Bänderriss, so etwas muss schnell operiert werden, da darf man vorher nichts essen. Er fragt sich, ob sie ihm in diesem Fall einen Einlauf machen oder versuchen würden, den Magen auszupumpen. Aber vielleicht ist nur etwas angerissen oder verstaucht. Bald kommt er an sein Bett, der Herr Professor, spricht ein paar einleitende Sätze, um dann, wie beiläufig und übertrieben freundlich zu sagen, nun erzählen Sie mir doch etwas von Ihrem Ausflug, Herr Schwitter, wie darf ich mir Ihre Wanderung vorstellen? Hartköpfig tun, das bringt nichts in solchen Situationen. Er kennt diese Ärzte, die beherrschen die Interviewtechnik, blitzschnell wechseln sie zwischen ernst gemeinten und in den Raum geheuchelten Fragen, verstehen es zu drohen, stellen Fallen, reden suggestiv. Lieber kooperieren, sich ein bisschen redselig zeigen, erzählen, was einem in den Sinn kommt, kann ja niemand kontrollieren, war ja niemand dabei.
    Kurz und knapp: Ein harmloser Ausflug, mit dem Zug nach Einsiedeln, von dort rasch durch das Dorf, am Marienbrunnen vorbei, am Johannisbächli entlang und gleich in den Chlosterwald, hier nun biblische Gestalten vor Augen, wissen Sie, ich bin auf den Kreuzweg gekommen, der Professor nickt, er kennt den Pilgerpfad, führt steil in die Höhe, beim großen Kreuz kurz Luft geschöpft, ein schöner Blick aufs Klosterdorf, der aufgenagelte Jesus eigentlich zu beneiden um die Aussicht, schade, dass er die Augen geschlossen hält,
ein letzter Akt irdischer Liebe und Zärtlichkeit
, steht auf einem Schild, angesichts der Opferbereitschaft durchaus opportun, es sind schon für mindere Leistungen Tafeln aufgestellt worden, ist doch schön, wenn Erinnerung hochgehalten wird, ein faszinierender Gedanke, die Biographie eines Menschen von der Gedenktafel her zu denken, alles Streben auf diesen einen Satz zu bündeln, doch keine Ausschweifungen, die Lunge hat sich erholt, also weitermarschiert, bald darauf in den Regen gekommen, immer weiter, immer höher gestiegen, Schneeflocken unter dem Regen erkannt, etwas innegehalten, der Professor verzieht das Gesicht, kommt ihm wohl komisch vor, und kalt ist ihm geworden, er knöpft sich den Kittel zu, Sie schildern das so plausibel, sagt er, ich bin noch nicht fertig, es wird noch besser, aber toll, Ihr Einfühlungsvermögen, solche Zuhörer wünscht man sich, also weiter, an der Schneefallgrenze ins Staunen gekommen, wie sicher die

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