Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
nicht wieder aufgetaucht. Die übrigen Zeugen hatten einen plötzlichen Gedächtnisschwund erlitten, worauf die Staatsanwaltschaft die Ermittlung einstellen musste.
Irene und Fredrik befanden sich im ehemaligen Vereinslokal mit den kleinen schmutzigen Fenstern, die kaum Licht hereinließen. Es war feucht, und der Gestank von Mäusedreck vermischte sich mit dem deutlichen Geruch von Benzin und verbranntem Fleisch. Auf dem Zementboden, dort, wo die Mörder ihr Opfer mit Benzin übergossen und angezündet hatten, prangte ein großer dunkler Fleck. Daneben war ein stabiles Jagdmesser gefunden worden. Auf der rasiermesserscharfen Klinge war in Frakturschrift ein großes P eingraviert. Irene und Fredrik wussten, dass diese Messer bei Bikern sehr beliebt waren. Wahrscheinlich hatte es dem Opfer gehört. Am Tatort sicherte die Spurensicherung auch etliche große Blutflecken. Einiges deutete darauf hin, dass der Tote bereits misshandelt worden war, bevor man ihn angezündet hatte.
An einer Längswand stand eine grob aus Brettern gezimmerte Theke. Hier war kein Tischler am Werk gewesen, dachte Irene, aber der Tresen hatte seine Funktion erfüllt, wie an den Ringen, die unzählige Flaschen und Gläser hinterlassen hatten, zu erken nen war. Hinter der Theke entdeckte die Spurensi cherung einen Kanister, der offenbar Benzin enthal ten hatte. Er war ganz neu. Der Fund zauberte ein seliges Lächeln auf die Lippen von Kriminaltechniker Matti Berggren. »Yes! Yes!«, sagte er halblaut und trug den Kanister vorsichtig in einer großen Plastiktüte nach draußen. Fredrik schüttelte den Kopf und äußerte gewisse Bedenken, was die geistige Gesundheit des Technikers anging, aber Irene hatte keine Zweifel. Falls Matti den Kanister als wichtig einstufte, dann war er das auch. Wahrscheinlich hoffte er, darauf einen Fingerabdruck des Mörders zu fin den. Irene setzte großes Vertrauen in den jungen Kriminaltechniker, der die Nachfolge des alten Orakels Svante Malm angetreten hatte. Außerdem lebte Matti seit einem halben Jahr mit Irenes Kollegin Sara Persson zusammen. Auch das sprach für sein gutes Urteilsvermögen.
Bis auf die grob gezimmerte Theke war der Raum leer. Er wirkte vollkommen verlassen. Der Fußboden war jedoch mit Zigarettenkippen, leeren Bierdosen, Glasscherben, Pizzakartons und anderem Müll bedeckt, der jedoch schon älteren Datums zu sein schien. Es wird schwer werden, darin Spuren zu finden, dachte Irene müde. Vielleicht gab der Benzinkanister, der vollkommen neu wirkte, ja tatsächlich etwas her.
»Dass es den Bikern gerade gut geht, weiß ich, aber was ist aus den Gangster Lions geworden?«, fragte Irene.
»Ihre Geschäfte laufen glänzend. Die Gangster Lions und ihre Untergruppierung The Pumas wachsen, was das Zeug hält, aber es ist in letzter Zeit zu etlichen Konflikten mit anderen Migrantengangs gekommen. Viele drängen auf den Drogenmarkt. Es gilt, sein Revier abzustecken«, antwortete Fredrik.
Ein Kollege der uniformierten Polizei tauchte in einer kleineren Hintertür auf.
»Kommt mal her. Wir haben was Interessantes gefunden«, sagte er.
Irene und Fredrik folgten ihm auf einen asphaltierten Platz, der jenem vor dem Haus glich, jedoch im Innenhof lag. Er wurde von verfallenen Schuppen aus Holz umgeben. Hier lagen ebenfalls mit Plastikplanen abgedeckte Stapel, vermutlich verschiedene Arten von Baumaterial. Der uniformierte Polizist ging auf einen der Stapel zu, schob die schadhafte Plastikplane beiseite und zeigte, was sich darunter verbarg. Ein chromblitzendes Motorrad der Marke Harley Davidson funkelte ihnen entgegen. Fredrik stieß einen Pfiff aus.
»Hells Angels«, vermutete Irene.
»Möglich, aber nicht unbedingt, es gibt auch andere Bikergangs, die Harleys fahren«, meinte Fredrik.
»Konntest du schon überprüfen, auf wen das Motorrad zugelassen ist?«, fragte Irene.
Der uniformierte Polizist nickte.
»Einen Patrik Karlsson, einundzwanzig Jahre alt. Mehr wissen wir bislang nicht, aber wir haben da noch ein paar andere Dinge entdeckt«, sagte er.
Er ging auf einen der verfallenen, den Innenhof umgebenden Schuppen zu. Als er die Klinke der Türe betätigte, öffnete sich diese lautlos. Die Scharniere waren frisch geölt.
»Jemand war darauf bedacht, dass man es nicht hört, wenn man durch diese Türe kommt«, stellte er fest.
Sie gingen durch die niedrige Türöffnung und betraten einen feuchten Raum, in dem es nach Schimmel stank. Auf dem Fußboden stand das Wasser, das durch das kaputte
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