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Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Titel: Im Schwarm - Ansichten des Digitalen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Byung-Chul Han
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Sie droht mit dem Tod. Die Biomacht hingegen arbeitet an der »Anreizung, Verstärkung, Kontrolle, Überwachung, Steigerung und Organisation der unterworfenen Kräfte«. Sie zielt darauf, »Kräfte hervorzubringen, wachsen zu lassen und zu ordnen, anstatt sie zu hemmen, zu beugen oder zu vernichten«. 68 Die Todesmacht des Souveräns weicht einer sorgfältigen Verwaltung und Kontrolle der Bevölkerung. Die Biomacht ist wesentlich feinmaschiger, präziser als die Todesmacht, die aufgrund ihrer Grobheit keine Kontrollmacht darstellt. So greift sie in die biologischen Prozesse und Gesetze ein, von denen die Bevölkerung gelenkt und gesteuert wird.
     
    Die biopolitische Kontrolle erfasst aber nur äußere Faktoren wie Fortpflanzung, Sterblichkeitsrate oder Gesundheitszustand. Sie ist nicht in der Lage, in die Psyche der Bevölkerung einzudringen oder einzugreifen. Auch der Big Brother im Benthamschen Panoptikum beobachtet nur das äußere Verhalten der schweigenden, sprachlosen Insassen. Ihre Gedanken bleiben ihm verborgen.
     
    Heute vollzieht sich ein weiterer Paradigmenwechsel. Das digitale Panoptikum ist keine biopolitische Disziplinargeseilschaft, sondern eine psychopolitische Transparenzgesellschaft. Und an die Stelle der Biomacht tritt die Psychomacht. Die Psychopolitik ist in der Lage, mithilfe digitaler Überwachung Gedanken zu lesen und zu kontrollieren. Die digitale Überwachung löst die unzuverlässige, ineffiziente, perspektivische Optik des Big Brother ab. Sie ist deshalb so effizient, weil sie aperspektivisch ist. Die Biopolitik erlaubt keinen subtilen Zugriff auf die Psyche von Menschen. Die Psychomacht ist dagegen imstande, in die psychologischen Prozesse einzugreifen.
     
    Vor einiger Zeit hat Chris Anderson, der Chefredakteur von Wired, unter dem Titel »The End of Theory« einen sehr bemerkenswerten Artikel veröffentlicht. Er behauptet, dass unvorstellbar große Datenmengen Theoriemodelle gänzlich überflüssig machen würden: »Unternehmen wie Google, die in einem Zeitalter der gewaltigen Datenmasse groß geworden sind, müssen sich heutzutage nicht für falsche Modelle entscheiden. Sie müssen sich nicht einmal mehr für überhaupt irgendein Modell entscheiden.« 6 ' Die Analyse von Big Data gibt Verhaltensmuster zu erkennen, die auch Prognosen möglich machen. An die Stelle hypothetischer Theoriemodelle tritt ein direkter Datenabgleich. Korrelation ersetzt Kausalität. Die Frage Wieso erübrigt sich angesichts des Es-ist-so: »Es ist vorbei mit jeder Theorie des menschlichen Verhaltens, von der Linguistik bis zur Soziologie. Vergessen Sie die Taxonomie, die Ontologie und auch die Psychologie. Wer kann schon sagen, warum die Menschen das tun, was sie tun? Sie tun es einfach, und wir können das mit beispielloser Genauigkeit aufspüren und ausmessen. Wenn ausreichend Daten vorhanden sind, sprechen die Zahlen für sich.« 70 Die Theorie ist ein Konstrukt, ein Hilfsmittel, das den Mangel an Daten ausgleicht. Wenn genug Daten vorhanden sind, so ist sie überflüssig. Die Möglichkeit, aus Big Data Verhaltensmuster der Massen herauszulesen, läutet den Anfang digitaler Psychopolitik ein.
     
    Jedes neue Medium offenbart ein Unbewusstes. So bietet die Kamera den Zugang zum »Optisch-Unbewussten«: »Unter der Großaufnahme dehnt sich der Raum, unter der Zeitlupe die Bewegung. [...] So wird handgreiflich, dass es eine andere Natur ist, die zu der Kamera als die zum Auge spricht. Anders vor allem dadurch, dass an die Stelle eines vom Menschen mit Bewusstsein durchwirkten Raums ein unbewusst durchwirkter tritt. [...] Ist uns schon im Groben der Griff geläufig, den wir nach dem Feuerzeug oder dem Löffel tun, so wissen wir doch kaum von dem, was sich zwischen Hand und Metall dabei eigentlich abspielt, geschweige wie das mit den verschiedenen Verfassungen schwankt, in denen wir uns befinden. Hier greift die Kamera mit ihren Hilfsmitteln, ihrem Stürzen und Steigen, ihrem Unterbrechen und Isolieren, ihrem Dehnen und Raffen des Ablaufs, ihrem Vergrößern und ihrem Verkleinern ein. Vom Optisch-Unbewussten erfahren wir erst durch sie, wie von dem Triebhaft-Unbewussten durch die Psychoanalyse.« 71
     
    Die Kamera ist ein Medium, das etwas zum Vorschein bringt, was sich dem bloßen Auge entzieht, nämlich das Optisch-Unbewusste. Data Mining macht kollektive Verhaltensmuster sichtbar, deren man sich als Einzelner nicht einmal bewusst ist. So erschließt es das Kollektiv-Unbewusste. In Analogie zum

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