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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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schämen. Also ich würde mich schämen. Und da nicht noch jemanden reinholen. Hotel ist dann doch schon was anderes. Da stehen wir zu dritt im Fahrstuhl. Ich drücke die Fünfundzwanzig. Ein junger Mann und eine Frau, die gehören wohl zusammen. Da muss ich an meinen letzten Freund denken. Und krieg sofort Gefühl. Weil ich mit dem auch mal in ’nem schicken Hotel war. Auch wenn’s inzwischen anderthalb Jahre her ist. Ist jetzt keine Zeit für sowas. Wir fahren. Die kleinen blauen Ziffern über der Tür flimmern, in der Fünfzehn halten wir, in meinem Ohr knackt es, ’n alter Knacker steigt zu, sieht müde aus, müde Augen, altes kleines Gesicht, ich bin jetzt einunddreißig, die meisten denken Mitte zwanzig, so steht’s in der Zeitung, so steht’s in meiner Sedcard, ich habe Pläne, noch einen Winter, noch einen Sommer, ich bin ein Profi, cool wie Sharon Stone mit schwarzgefärbten Haaren, wir sind die erste Liga, wir ziehen den Männern das Geld aus den Eiern (Klappe, Magda! Zwinker, zwinker!), und wir fahren, der Alte steigt in der Achtzehn aus, Ding!, zieh ’n Finger, Alterchen, ich muss zum Honeymoon!, die beiden wollen bestimmt hoch in die Siebenundzwanzig, da ist eine Bar über den Dächern der Stadt, dort bin ich noch nie gewesen, aber heute, wenn ich die Scheinchen ins Dekolleté stecke, natürlich kommen sie ins Portemonnaie, heute werde ich dort oben eine Margarita trinken an der Bar, mit Blick auf die Stadt. In der Fünfundzwanzig steige ich aus, nicke den beiden kurz zu, bevor sich die Tür schließt. Ich sehe die Zimmernummern. Ich laufe den langen Gang entlang. Eine Frau kommt mir entgegen, sieht aus wie ein Zimmermädchen, weißer Kittel. »Guten Tag«, sage ich . Es war einmal ein kleines Mädchen, das war eigensinnig und vorwitzig. Ich habe mich immer gefragt, was das sein soll. Vorwitzig. Als Kind. Als meine Mutter mir die »Frau Trude« vorgelesen hat. Und wie die Frau Trude dann am Ende das Mädchen in ein Holzscheit verwandelt und ins Feuer wirft und sich an ihr wärmt. Wer denkt sich so etwas aus. Und wer liest so etwas vor. Manchmal denke ich, dass ich’s vielleicht selbst gelesen habe in dem grünen Buch, und weil meine Mutter mir auch einige Märchen vorgelesen hat … Gehirnfasching, Erinnerungen im Winter, Januar zwo-elf. Ist doch auch schon lange her. Ich bleibe vor der Tür stehen. Ich warte kurz und bin ganz still. Musik von drinnen. Ich lächele. Lege die Hand auf die Tür. Fühle mich stark. Na, dann wolln wir mal.

II (Und in den Straßen, hoher Schuh, schlankes Bein.)
    Menschen schieben schweigend das Leben und die Nacht und den Tag vor sich her, »Sechshundertfünfundfünfzigtausend sind sicher keine große Sache, kein Weltstadtniveau, aber wir expandieren! Die Million ist das Ziel!« (Ich sagte schweigend !), Farben flimmern durch die Stadt, Baumaschinen auf zerrissenen Straßen, Wetterleuchten weit im Norden, drei Zeppeline kreisen über den Häusern. »Nimm deine scheiß Zunge aus meinem Mund! Und komm mir nicht mit deinem Das hat der und der und die und die . Ich habe gesagt, dass ich nicht …«
    Grüne Wellen, Straßenbahnen quietschen in den Kurven, S-Bahnen auf Brücken, Bahndämmen, in Tunneln, Bahnhöfen, Gelenkbusse winden sich durch den Verkehr, Nummer 60, Zehnminutentakt, 76, 69, Rotstopp, am Güterring kreuzen sich S-Bahnen und Güterzüge, mehrere Ebenen, ein steinernes Viadukt hinterm Sportplatz, Kleingärten rauchen, Ostvorstadt, Angrillen, Abgrillen, Westvorstadt, badamm, badamm, badamm, »Die Züge rattern heutzutage anders, klingt anders als früher«, sagt ein Alter zu seiner Frau, die neben ihm auf dem Balkon …, graue Häuser oberhalb der Schienen, die Züge fahren durch Felsenschluchten, Vorstadtzüge, rostbraune Waggons, verfallene Güterbahnhöfe, die großen Seen am Rand der Stadt verdunsten ganz langsam, auf dem Grund liegen die alten Bagger, Braunkohlereste in den Schaufeln. Das Restaurant am Pier ist gut besucht, die Leute starren aufs Wasser und warten …
    Wo bleibt der Regen, wir warten auf den Regen, nehmen Sie sich Urlaub und fahren Sie ans Meer … auf zweiundneunzig Komma drei … Und die Sonne wandert schnell.
    »Das war, weil das Stampfen der Fabriken«, sagt der Alte unterm Sonnenschirm, den sie mit Draht fixiert haben an der Wand, gegen die Stürme, weil es ja bald gewittern soll, ah, ah, ah, jemand bumst laut, offene Fenster im Hinterhof, Frauenstimmen, Tachometer, »Ich brauche ’ne Taxe, sofort!«, die Sommerluft leitet

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