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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Regen nur käme. Scheiß auf die paar Blitze. Jetzt fahren zu viele mit dem Radl. Schlecht fürs Geschäft. Und atmosphärische Störungen knacken im Radio und in den Ohren. Back to the future . Die Pferdestaffel durchkämmt die Parks. Die Abbruchhäuser werden abrissreif geschossen von den Cowboys der schwarzen Schwadron. Nur Assis und Kleinvieh drin. Die Legenden und Gerüchte kreisen wie eine Windhose vom Zentralbahnhof durch die ganze Stadt. Mutter, der Mann mit dem Koks ist da. Jawoll, mein Junge …, pack die Badehose ein. An den Seen vor der Stadt liegen sie dicht an dicht. Sommer zweitausendneun. Wenn die Uhren noch stimmen. Und in der Nacht fallen Schüsse, wer braucht so einen Scheiß, die machen uns den Markt kaputt. Chaos ist der Anfang vom Ende. (»So ein Schwachsinn! Es gibt immer Leute, die vom Chaos profitieren. Stichwort Neuordnung.«)
    Und der Fahrer fährt durch die Schatten des alten Straßenstrichs, wo er früher, vor vielen Jahren, die Kunden hingebracht hat. Fährt weiter über die »Allee der schönen Augen«, Heiterblick, links und rechts die Wohnwagen, lange Reihen, wenige Lichter, Menschen, Frauen, Fehlzündungen oder Schüsse, Jahr 1 nach der Wende, Jahr 2 nach der Wende, da stehen die Luden der alten Republik in der neuen Republik und warten drauf, dass sie rausgeschmissen werden von der Garde der Zonenschläger, die sich grad organisiert, Wind weht durch Haare, blondiert, vorne lang, hinten kurz, Glatzen, Ledermäntel, Davidoff im Lederetui, Schneetarnbomberjacken im Licht der Laternen, jede zweite war damals kaputt, er fährt weiter zur Burg, weil der Mann hinten im Wagen für Kleingeld bumsen will, die Fußballkommandos kriegen alles in den Griff langsam, sind ja auch am besten und schlagkräftigsten organisiert, damals, Jahr 1, Jahr 2, Jahr 3, aber das weiß der Mann hinten nicht, weil der Fahrer durch Jahrzehnte fährt vor dieser Zeit, in der die Fremdinvestoren den Markt übernehmen wollen. Neben der Straße der Bahndamm. Und Gewerbegebiete, wo damals Ruinen waren. Wer kennt noch die Witze über die wackelnden Wohnwagen. Wo sie dich abgezockt haben, dass die Eier voll blieben, aber die Geldtaschen sich leerten. Wo die Reviere abgesteckt umkämpft waren. Und wurden. Ost gegen West. Ost gegen Ost. Und die Rollkommandos rollten. Eine Frau (19) steht am Bordstein und schimpft leise. Drecksäue! Arme Kerle? Nee. Wie die Jahre vergehen. Und zweitausendneun finden sie bei Straßenarbeiten Lockenwickler, Hunderte versteinerte Zigarettenkippen und Kondome in einem ausgetrockneten Arm der Kanalisation. Sie ist jetzt einundvierzig und arbeitet in einer Kaffeebude im Zentralbahnhof. Und der Mercedes beschleunigt auf 88 Meilen pro Stunde. Weil die Rücklichter der Burg hinter den Häusern zu sehen sind. Früher gab’s den Rotlichttaler. Den Bumsbonus. Wer uns Gäste bringt, kriegt Geld. Die Läden übertrumpften sich gegenseitig. Die Zeiten sind lange vorbei. Und wieder zurück, durch die »Allee der schönen Augen«. Nur noch eine zerknitterte »Bild« auf der Rückbank. Er hatte ja versucht, ihm paar Adressen schmackhaft zu machen, hätte sofort Babsi, also Lilli, anrufen können, hat ihm gesagt, guck lieber in den Annoncen, aber der Typ war ein Kleingeldficker, der wollte in die Burg. Und dort kann er natürlich am billigsten. Hinterm Drehkreuz. Und ob’s dort jetzt ruhig ist, hat er gefragt, weil ja die Zeitungen, und der Krieg und die Stadt. Sicher, alles bestens bei uns! Bestens, alles sicher bei uns! Genau hat er’s nicht gewusst, also hundert Prozent, was weiß man schon hundert Prozent in diesen Tagen, wo sie alle durchdrehen bei dieser verdammten Hitze, wo die Clubs und die Türen der Diskotheken attackiert werden, wo diese arme Sau, die er sogar kannte, den er paarmal gefahren hat, auch zu Babsi, auf dem Bordstein krepieren musste. Armer Ficker, zur falschen Zeit am Ort ohne Zeit. Wie damals vor zehn Jahren, denkt er, bumm bumm, und beschleunigt seinen Mercedes auf der 7, beziehungsweise der 6, der Stadtschnellstraße, auf 88 Meilen pro Stunde. Aber die Geister sind zurück in town. Und da muss er lachen. Und spürt und sieht, wie die Lichter an ihm vorbeifliegen.
    Zerrissene Straßen mit Baumaschinen. Da schimpft einer, weil seine Gummisohlen schmelzen. Die Pferdestaffel sorgt für den großen Stau. Die Parks in der Innenstadt sind leer geräumt. Die Musketiere im Zentrum tragen MP vor der Brust. Der Zentralbahnhof liegt still und strahlt die Wärme des Tages ab. Der Himmel

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