Im Tal der flammenden Sonne - Roman
wieder mit ihren Eltern vereint zu sein!
Die Aborigines, die geglaubt hatten, Arabella wäre froh über die Rückkehr in die Zivilisation, sahen sich in ihrer Meinung bestätigt: Die weiße Frau hatte offensichtlich den Verstand verloren. Als sie an der Ghan-Siedlung vorbeikamen, sah Arabella Männer mit Turbanen, die unter den Palmen auf Teppichen knieten und beteten, alle in dieselbe Richtung gewandt, den Oberkörper so weit vorgebeugt, dass die Stirn den Boden berührte. Sie waren so in ihr Gebet vertieft, dass sie die seltsame Gruppe kaum beachteten – Aborigines, die eine junge, nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidete Weiße mit zerzaustem Haar und einem Gesicht so rot wie der Wüstensand vor sich her trieben. Lediglich ein paar Eingeborenenkinder, die im Staub spielten, schauten der jungen Frau staunend nach.
Arabella strebte dem Hotel zu, so schnell sie konnte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, allein zu sein. Sie drehte sich um und stellte fest, dass die Aborigines tatsächlich verschwunden waren, als hätte der Erdboden sie verschluckt. Verdutzt schaute sie sich um. Wie war das möglich? Diese Leute konnten sich doch nicht in Luft aufgelöst haben! Doch sie war viel zu erschöpft, um sich Gedanken darüber zu machen. Vor Schwäche, Hunger und Durst konnte sie kaum noch auf den Beinen stehen. Schiere Willenskraft trieb sie voran. Sie schleppte sich weiter und schwankte auf das Hotel zu, vor dem ein paar Pferde angebunden waren. Als sie die Tür erreichte, musste sie sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegenlehnen, um sie aufzubekommen. Arabella taumelte ins Innere. Ihre Augen brauchten ein paar Sekunden, bis sie sich nach dem grellen Sonnenschein an das dämmrige Licht gewöhnt hatten. Ein Mann und eine Frau standen hinter der Bar und starrten sie sprachlos an; an der Theke saßen, mit dem Rücken zu ihr, vier oder fünf Männer vor ihren Drinks.
»Ist der Zug … zurückgekommen?«, fragte Arabella mit schwacher Stimme. Sie registrierte noch die entgeisterten Blicke der Gäste, die sich umgedreht hatten und sie verblüfft ansahen, dann gaben ihre Knie nach, und sie wurde ohnmächtig.
2
Als die Fitzherberts in Alice Springs eintrafen, brachte Edward seine Frau ins Hotel und eilte dann unverzüglich zur Polizeiwache, um eine Vermisstenanzeige zu erstatten. Der Zugführer, ein gewisser Mr Hampton, war bereits dort. Kurz zuvor waren die Städte, die per Bahn versorgt wurden, telegrafisch informiert worden, dass der Zugverkehr vorläufig eingestellt werden musste, bis die Gleise instand gesetzt waren. Zur gleichen Zeit, als Mr Hampton das Verschwinden der jungen Frau meldete, stürzte zwischen Marree und Alice Springs ein Telegrafenmast um, wobei die Leitung heruntergerissen wurde.
»Wann werden Sie einen Suchtrupp losschicken?«, fragte Edward den Polizeibeamten.
»Vorher möchte ich Ihnen noch ein paar Fragen stellen, um andere Möglichkeiten auszuschließen«, antwortete Sergeant Menner.
»Was für andere Möglichkeiten?«, brauste Edward auf. »Meine Tochter liegt irgendwo da draußen! Wahrscheinlich ist sie verletzt und braucht unsere Hilfe!«
»Bevor wir eine Suche starten, müssen wir ganz sicher sein, dass sie aus dem Zug gefallen ist.«
»Was soll ihr denn sonst passiert sein?«, erwiderte Edward hitzig.
Der Sergeant seufzte. Er konnte den Mann gut verstehen. »Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal gesehen, Sir?«
»Gestern Abend. Meine Frau und ich sind in den Salonwagen gegangen, um mit dem Paar aus dem Abteil nebenan Rommé zu spielen. Arabella hatte keine Lust, uns zu begleiten. Sie war müde.«
»In was für einer Verfassung war sie?«
Edward sah ihn irritiert an. »Ich verstehe nicht …«
»War sie guter Dinge oder deprimiert?«
»Sie hatte keinen Grund, deprimiert zu sein.«
»Hat sie zu Abend gegessen?«
Edward wusste nicht, worauf der Sergeant mit seinen Fragen hinauswollte. Sein hilfloser Zorn wuchs. »Hören Sie«, stieß er gepresst hervor, »meine Tochter liegt dort draußen in der Wüste und ist vielleicht schwer verletzt. Wenn Sie nichts unternehmen, werde ich es tun!«
»Sobald ich das Zugpersonal befragt habe, stelle ich eine Suchmannschaft zusammen.«
»Und wie lange wird das dauern?«
»Schwer zu sagen. Das hängt davon ab, was ich in Erfahrung bringe.«
Edward war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. »Und wozu soll diese Befragung gut sein? Das Zugpersonal weiß auch nicht mehr als ich. Meine Tochter muss aus dem
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