Im Tal der flammenden Sonne - Roman
nächster Zeit auch kein Zug mehr erscheinen. Heute Morgen haben wir ein Telegramm erhalten. In der Nähe von Alice Springs sind die Eisenbahnschwellen auf einer Länge von einer Meile von Termiten zerfressen.«
Seltsam, dass in dem Telegramm kein Wort davon stand, dass jemand aus dem Zug gefallen ist, überlegte Maggie. Ob dieses Mädchen sich die Geschichte nur ausgedacht hatte? Andererseits würde niemand damit rechnen, dass jemand einen Sturz aus einem fahrenden Zug überlebte oder dass man eine Leiche fand.
»Der Zug hat auf freier Strecke gehalten«, fuhr sie fort, »und die Fahrgäste mussten die restlichen fünf Meilen bis zur Stadt zu Fuß gehen. Es wird Monate dauern, um die Schwellen auszutauschen. Aber so was sind wir hier gewohnt. Heuschreckenplagen, Sandstürme … von der Dürre gar nicht erst zu reden. Seit fünf Jahren leiden die Stadt und die umliegenden Farmen darunter. Würden die Kamele uns nicht das Wasser bringen, wäre hier alles längst zu Staub zerfallen. Und jetzt, wo der Afghan-Express nicht mehr verkehrt, werden die Kamele uns auch Lebensmittel aus dem Süden in die Stadt transportieren müssen.«
Arabella durchzuckte ein Gedanke. »Sie sagten, Sie hätten ein Telegramm bekommen. Ich könnte meinen Eltern in Alice Springs telegrafieren, wo ich bin, damit sie mich holen«, sagte sie aufgeregt.
Maggie zog die Stirn in Falten. »Wie stellen Sie sich das vor? Ich wüsste nicht, wie Ihre Eltern hierherkommen könnten. Der Zug ist unsere einzige Verbindung nach Alice Springs. Außerdem ist die Telegrafenleitung zusammengebrochen. Wir sind im Moment völlig von der Außenwelt abgeschnitten.«
Arabella konnte nicht fassen, dass sie so sehr vom Pech verfolgt wurde. »Was ist denn passiert?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Maggie achselzuckend. »Als wir versucht haben, wegen dem Zug zu telegrafieren, sind wir nicht durchgekommen. Die Leitung war tot.«
»Soll das heißen, dass ich in diesem Nest hier festsitze?«, jammerte Arabella. »Gibt es keine Möglichkeit, meine Eltern zu benachrichtigen?«
»Vorerst nicht. Aber vielleicht ist der Schaden an der Telegrafenleitung ja bald behoben.« Maggie wusste, dass sie eine unverbesserliche Optimistin war. Hier draußen im Outback brauchte alles sehr, sehr viel Zeit. »Wie heißen Sie eigentlich?«
»Arabella Fitzherbert.«
»Nun, Arabella …«, begann Maggie freundlich.
» Miss Arabella Fitzherbert.«
Eine zwanglose Anrede, wie Maggie sie gewohnt war, kam für die junge Frau offenbar nicht in Betracht.
»Nun, Miss Arabella Fitzherbert, Sie haben mir immer noch nicht verraten, wie es kommt, dass der Zug ohne Sie weitergefahren ist. Sind Sie hinausgefallen?« Der Zug war ziemlich langsam gefahren; Maggie hatte es selbst beobachtet. Vielleicht war der Aufprall beim Sturz von Dickicht gedämpft worden. Das würde erklären, warum die junge Frau lediglich ein paar Schrammen und Blutergüsse davongetragen hatte. Die Behörden in Alice Springs würden allerdings davon ausgehen, dass sie ums Leben gekommen war. Ob verletzt oder nicht – ohne Flüssigkeit konnte ein Mensch nur wenige Tage in der Wüste überleben. Deshalb war mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass man gar nicht erst nach der jungen Frau suchte. Es würde Wochen dauern, bis eine Suchmannschaft auf Kamelen die ganze Gegend von Alice Springs bis Marree durchkämmt hätte, und bis dahin wären von der Vermissten nur noch bleiche Knochen übrig. Eine Straße gab es nicht, und im Wüstensand kam kein Automobil voran. Und wer sich zu Fuß auf den Weg machte, würde seinen Leichtsinn mit dem Leben bezahlen.
Mit Tränen in den Augen sagte Arabella: »Der Zug musste auf offener Strecke halten, weil ein Tierkadaver auf den Schienen lag. Es dauerte schrecklich lange. Da bin ich ausgestiegen, um eine Blume zu pflücken, die ich entdeckt hatte. Ich bin auf dem Tritt ausgerutscht und hab mir dabei den Knöchel verdreht. In dem Moment fuhr der Zug an, und ich kam nicht schnell genug auf die Füße. Und dann war er auch schon weg …«
»Verstehe«, sagte Maggie langsam. Auf den Gedanken, dass Arabella bei einem kurzen Halt ausgestiegen war, war bestimmt niemand gekommen. »Aber Ihre Eltern müssen doch gemerkt haben, dass Sie nicht mehr da sind?«
»Sie waren zum Kartenspielen in den Salonwagen gegangen, und da wird es meist sehr spät. Wahrscheinlich haben sie erst heute Morgen gesehen, dass ich verschwunden bin.«
»Ich verstehe.« Selbst wenn die Eltern das Verschwinden ihrer
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