Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
etwas wie ein Glücksgefühl, das jedoch schlagartig verging, als sie das Pferd entdeckte. Jemand hatte es an einen Baum gebunden. Es graste friedlich und sah, das Maul voller Halme, neugierig auf.
» Das kann doch nicht wahr sein « , stöhnte Johanna. » Liam! «
Es kam keine Antwort. Johanna mühte sich vom Kutschbock, sah im Haus nach, im Garten, doch von dem Schotten fehlte jede Spur. Erst dann wurde ihr klar, dass Cassio weder gesattelt noch gesund genug war, um geritten zu werden.
» Hier ist eine Nachricht « , rief Hariata.
Am Halfter des Wallachs war ein zusammengefalteter Brief befestigt. Johanna begrüßte das Tier, rieb ihm die breite Blässe und löste die Schnur um den Brief.
» Ich lasse Sie einen Moment allein « , sagte Hariata, legte ihr kurz die Hand auf den Arm und ging zurück zur Kutsche, um das Pferd auszuspannen.
Johanna setzte sich auf eine kleine Bank und entfaltete den Brief. Das Papier roch nach Liam, es war eine herausgerissene Seite aus seinem Notizbuch. Tränen stiegen ihr in die Kehle.
Geliebte Johanna,
ich bedauere sehr, dass Du nicht persönlich von mir Abschied nehmen wolltest, und nicht bereit bist, mich anzuhören. Marina und ich sind Freunde, nicht mehr und nicht weniger. Die Situation verlangte es von mir, ihr diesen Dienst zu erweisen. Zwischen uns ändert sich nichts. Mein Herz ist Dein, seit damals, als wir uns bei der Völkerschau das erste Mal begegnet sind.
Du findest Cassio in Deinem Garten, weil ich hoffe, dass Du Dich seiner annehmen wirst. Er ist lahm und schafft die Reise nach New Plymouth nicht. Er hat genug Krieg und Leid gesehen, und ich wünsche mir, dass er den Rest seines Lebens friedlicher verbringt. Unter dem Rosenbusch liegt etwas Geld. Bitte benutze es für seinen Unterhalt und verfüge über den Rest, wie Dir beliebt.
In der Hoffnung, Dich und unser Kind bald wiederzusehen, Dein Liam.
» Mein Liam « , wiederholte sie missmutig, stand auf und ging zu dem Wallach, der sie aus seinen merkwürdigen blauen Augen fragend ansah.
» Na, Cassio? Jetzt haben dich alle Fitzgeralds verlassen, was? « Sie strich ihm über den Hals und besah sich die Wunde. Sie war verkrustet und tief eingesunken und würde wohl bald verheilt sein. » Du hast uns das Leben gerettet, weißt du das eigentlich? « , flüsterte sie. » Du bist ein Held, Cassio. Duncan wäre sicher stolz auf dich. «
September 1848
Petre
V or einigen Tagen war es Tamati endlich gelungen, auch die letzten Schnitzereien zu bekommen, die Te Maamku und Taumaihi Johanna für die Gewehre versprochen hatten, und den Rest der Handelswaren zurückzuerhalten. Nachdem er den Frauen geholfen hatte, Skulpturen, Waffen und Webstoff für den langen Transport zu verpacken, hatte er sich von ihnen verabschiedet. Er vermisste seine Frau Abigail und seine Familie. Johanna hatte ihn mit der Aufgabe betraut, Thomas’ Stellvertreter die Kündigung und die Todesnachricht seines Vorgesetzten zu überbringen. Er hatte Wochen in Urupuia verbracht und alles geregelt. Das Sägewerk war nun endgültig Geschichte. Bis sich Johanna entschieden hatte, was aus ihrem Besitz im Tal des Windes werden sollte, hatte Tamati die Aufsicht über ihr Vieh, die Schafe und Pferde übernommen. Auf ihn und Abigail war Verlass.
Johannas Geschäft ruhte durch den Umzug nicht. Mittlerweile hatte es sich in Petre unter den ansässigen Eingeborenen herumgesprochen, dass die Pakeha -Frau, die das freie Lagerhaus im Hafen übernommen hatte, gute Preise für Schnitzereien zahlte. Johanna hatte sich angewöhnt, an zwei festen Tagen anwesend zu sein, um neue Kunstwerke anzukaufen. Wie auch an diesem Morgen. Nachdem sie ihren kleinen Sohn gestillt und gewickelt hatte, lud Johanna ihn in einer Trage, wie sie die Maori benutzten, auf Cassio und lief gemeinsam mit Hariata ins Dorf. Der Wallach genoss die kurzen Ausflüge, wenngleich er noch etwas lahm war. Und Johanna vertraute dem Tier gerne ihren kostbarsten Schatz an.
Das Kind schaukelte sanft auf Cassios Rücken, es war wach und verhielt sich aber still. Es schrie so gut wie nie, und Johanna hatte ihre wahre Freude daran. Sie war glücklich, wenn sie in die strahlend blauen Augen des Neugeborenen sah, auf eine ganz besondere Art glücklich, wie es die Liebe eines Mannes nie hervorrufen konnte.
In dem Lagerraum gab es einen kleinen Tresen. Im Regal dahinter standen und lagen gut sichtbar die Waren, die von den Maori am liebsten eingehandelt wurden. Werkzeug, Metallgeschirr, Munition und
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