Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Befehle.
Irgendwo krähte verspätet ein Hahn, und in das Pfeifen des Windes mischte sich das tiefe Murmeln des Whanganui River.
Mit dem lahmen Pferd hatten sie in der Nacht zuvor über eine Stunde bis zur Siedlung Petre gebraucht. Cassio hatte durchgehalten.
Obwohl Johanna seit Längerem wusste, was für eine Bestie in Thomas schlummerte, war sie noch immer fassungslos, dass diese sich mit ihren Klauen gegen sie gewandt hatte.
Thomas’ Liebe war ihr seit der ersten Begegnung sicher gewesen, wenngleich sie alles andere als gewöhnlich war.
Seine Zuneigung war eine Mischung aus Besitzgier und Besessenheit gewesen, die sich mit einer Zärtlichkeit abwechselten, die Johanna immer wieder überraschte.
Nun war er tot. Sie war in der Nacht mehrfach aufgewacht und hatte die Männer erneut kämpfen sehen. Ihr Herz gehörte Liam. Dennoch empfand sie Trauer um Thomas. Es war ein nüchternes Gefühl, Pflichterfüllung, wie ihre Ehe.
Wahrscheinlich waren jetzt Soldaten unterwegs, um seinen Leichnam zu bergen. Der Kampf um die Festung hatte Dutzende Tote gefordert, doch Thomas sollte nicht in einem der Massengräber die letzte Ruhe finden, das zumindest schuldete sie ihm, auch wenn sein letzter Gedanke gewesen war, sie und das Ungeborene zu töten.
Johanna horchte in sich hinein. Unter ihrer Hand, die sie auf ihren Leib gelegt hatte, regte sich nichts. Das Kind bewegte sich schon seit einer Weile nicht mehr. Es schlief.
Wegen ihm durfte sie nicht traurig sein. Das Glück, der Hölle der Belagerung und Thomas entkommen zu sein, rückte alles in ein besseres Licht.
» Hallo, du kleiner Mensch « , flüsterte sie. » Ich verspreche dir, ab heute wird alles gut. Keine Abenteuer mehr, keine Kämpfe. Du kannst schlafen und wachsen. Ich gebe auf uns beide acht. «
Sie verstummte. Jemand betrat leise das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Schritte näherten sich dem hinteren, mit Stoffbahnen abgetrennten, Bereich, in dem ihr Bett stand.
Es klopfte leise.
» Ja? Ich bin wach. «
Eine kräftige Männerhand teilte den Vorhang. Liam war kaum wiederzuerkennen. Er trug eine nagelneue Uniform, die vor Messing nur so blitzte. Nur sein Gesicht, wenngleich glatt rasiert, spiegelte die Entbehrungen der letzten Tage wider.
» Du siehst gut aus « , murmelte Johanna. Trotz des Kindes verzehrte sich ihr Körper vor Sehnsucht nach ihm, und sie wendete beschämt den Blick ab.
» Ich komme von den Verhandlungen mit Te Maamku. Major Wyatt hat ihn überzeugt. Der Häuptling hat den Friedensvertrag unterschrieben, und seine Verbündeten werden es auch tun. Es ist vorbei. «
Liam zog einen Stuhl heran und setzte sich an ihr Bett.
» Wie geht es dir und dem Kind? «
» Gut. Der Arzt sagt, ich soll mich heute noch schonen, aber morgen kann ich wieder aufstehen. An den Beinen sind nur blaue Flecken, der Knöchel ist geschient und tut noch etwas weh. « Nur der Schuss im Oberarm plagte sie.
Liam musterte sie. Sah in ihre Augen, als suche er eine Antwort. Und Johanna wusste genau, was er nicht zu fragen wagte. » Ja, das Kind ist von dir « , sagte sie ganz leise.
Ein Strahlen verzauberte Liams Gesicht. Er hob die Hand, um ihren Bauch zu berühren, und zog sie wieder zurück.
» Darf ich? «
Johanna nickte. Endlich geschah, wonach sie sich so lange gesehnt hatte. Liam legte vorsichtig die Linke auf ihren Leib. Sie wusste nicht, was schöner war, seine Berührung, die sie durch das dünne Nachthemd spürte, oder die Bewegung des Kindes, das in diesem Moment erwachte und von innen gegen die Hand seines Vaters stupste. Liam lächelte entrückt. » Wie wunderbar. Was war das? «
» Ein Füßchen vielleicht oder der Ellenbogen. «
Johanna legte ihre Hand auf seine, verschränkte die Finger. Bis sie das Gefühl nicht mehr ertragen konnte. Er trug einen Ehering. Tränen schossen ihr in die Augen. Für Liam und sie gab es keine gemeinsame Zukunft mehr.
» Warum? « , klagte sie und strich über den unheilvoll glänzenden Goldring.
Liam zog die Hand weg und starrte auf den Ring, als sähe er ihn zum ersten Mal.
» Nachdem du in Urupuia kaum von Waters’ Seite weichen wolltest, habe ich es als Zeichen genommen und auch eine Entscheidung getroffen. «
» Und wie lautet die? « , schluchzte Johanna und kam sich töricht vor.
» Ich verzichtete auf die Rache. Ich brach mit dem Schwur, den ich meinem toten Bruder gegeben habe, und glaub mir, es ist mir nicht leichtgefallen! «
Liams Augen waren dunkel geworden, als ihn die Erinnerung
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