Im Totengarten (German Edition)
gesagt, als ich in sein Zimmer kam.«
»Das ist ja wunderbar.«
»Ich weiß.« Ich konnte sie deutlich vor mir sehen, wie sie in einem schicken, kurzen schwarzen Kleid und mit einer Perlenkette um den Hals in seinem Krankenzimmer stand.
»Kann ich mit ihm sprechen?«
»Jetzt noch nicht, Schätzchen. Er ist nicht gerade gesprächig, und vor allem hat die Schwester ihm gerade sein Frühstück hingestellt.« Ihre Stimme klang so selbstbewusst, als hätte sie sich ihr Leben lang immer durchgesetzt.
»Sag ihm, dass ich ihn nachher besuchen kommen werde, Mum.«
Grußlos legte sie wieder auf. Ohne Zweifel würde sie nach Hause fahren und dort ihren Freundinnen erzählen, sie hätte ihren Sohn alleine durch die Kraft ihrer mütterlichen Liebe auf den Weg der Besserung gebracht.
Angie fuhr erheblich vorsichtiger als der junge Meads. Sie hielt an jeder Kreuzung an und achtete peinlich genau darauf, dass sie nirgends einen Fahrradfahrer übersah. Trotz des grauen Himmels schaffte es Soho, farbenfroh und fröhlich auszusehen, als meine Chauffeurin durch die schmalen Nebenstraßen fuhr. Über den Eingängen der Striplokale flackerten uralte Neonschilder, auf denen die Sanduhrfiguren der Tänzerinnen abgebildet waren. Auch einige der Fußgänger waren offenbar schon seit Jahrzehnten auf den Straßen unterwegs. Alte Männer in Trenchcoats trotteten die Gehwege entlang, als hätten sie die Ausschweifungen der vergangenen Nacht nur mit Mühe überlebt.
Schließlich hielten wir vor einem Haus, in dessen Erdgeschoss ein Buchgeschäft nur für Erwachsene lag. Die Titel der Werke in den Schaufenstern klangen teilweise zwar durchaus lehrreich, wie Ausbildung zur Domina, teilweise jedoch auch rundweg furchteinflößend, wie zum Beispiel in Wie reiße ich Schulmädchen auf?.
Als mir Angie mit entsetzter Miene über eine schmale Treppe in die über dem Geschäft liegende Wohnung folgte, achtete sie sorgfältig darauf, das Geländer ja nicht zu berühren, weil sie schließlich keine Ahnung hatte, wer schon vor ihr alles dort entlanggegangen war.
Ich klopfte an die Tür, aber erst nach mehreren Minuten wies mich eine unfreundliche Stimme an zu warten, und dann dauerte es noch mal eine halbe Ewigkeit, bis endlich ein Gesicht im Türrahmen erschien.
»Erinnerst du dich noch an mich? Ich bin Lolas Freundin Alice. Und das hier ist Angie«, sagte ich.
Craig trug eine knappe schwarze Unterhose, und an seinen Lidern klebten noch die Reste glitzernden Make-ups.
»Natürlich, Schätzchen. Kommt doch rein.« Von der Zecherei und Raucherei der letzten Nacht hatte seine Stimme einen rauen Klang.
Wir folgten ihm bis in sein winzig kleines Wohnzimmer, wo eine klapperdürre Tigerkatze, deren letzte anständige Mahlzeit schon geraume Zeit zurückzuliegen schien, auf der Rückenlehne des Sofas saß. Offenbar reichte die Gage eines Schauspielers für die nahrungstechnische Versorgung eines Haustieres nicht aus. Craig war ebenfalls sehr dünn, aber vielleicht war seine Statur auch einfach Teil seines Lebensstils, weil ein Mann mit eleganten hohlen Wangen eher an Rollen kam.
»Weißt du vielleicht, was Lola macht?«, setzte ich an und beobachtete überrascht, wie er meinen leuchtend blauen Lieblingskimono anzog, den Lola offensichtlich aus Versehen mitgenommen hatte, als sie aus meinem Apartment ausgezogen war.
»Auf die Madame bin ich im Augenblick nicht gerade gut zu sprechen.« Er warf irritiert den Kopf zurück. Seine schulterlangen blonden Haare sahen, abgesehen von ein paar dunkelbraunen Zentimetern, wo sie nachgewachsen waren, fast natürlich aus. »Ich werde euch alles erzählen, Mädels, aber ich brauche erst mal einen Kaffee, wenn ihr euch um diese unchristliche Zeit mit mir unterhalten wollt.«
Craig verschwand in seiner Küche, und wir sahen uns erst einmal bewundernd in der Wohnung um. Die Inneneinrichtung stellte eine Mischung aus Gothic und Warenlager dar. An der Wand über dem Kamin schmollte Mae West, und auf den Stühlen war eine Auswahl perlenbestickter Transenfummel verteilt. Angie klappte die Kinnlade herunter, da sie offenbar in einer ihr bisher vollkommen fremden Welt gelandet war.
Nach ein paar Minuten kehrte Craig mit einem Tablett und drei Espressotassen zu uns zurück.
»Espresso«, seufzte er. »Gottes Geschenk an die Verkaterten.«
Ich betrachtete seine sorgfältig gezupften Brauen und seine makellose Haut. Er hielt offenbar eine viel strengere Diät als ich. »Dann hat sich Lola also schlecht benommen?«
»So
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