Im Totengarten (German Edition)
könnte man sagen.« Craig rollte dramatisch mit den Augen. »Aber das wäre noch freundlich ausgedrückt.«
»Wann hast du sie denn zum letzten Mal gesehen?«
»Mittwochabend. Da hat sie sich furchtbar über diesen Typen aufgeregt, mit dem sie zusammen war.«
»Lars.«
»Genau. Aber wie dem auch sei, sie war in Tränen aufgelöst, deshalb habe ich sie in ein Taxi gesetzt und ihr erklärt, dass sie schon mal in meine Wohnung fahren soll. Aber als ich nach Hause kam, war sie nicht mehr da und hatte sogar meinen Wohnungsschlüssel eingesteckt. Für den verdammten Schlüsseldienst habe ich eine ganze Wochengage hingelegt.«
»Aber ihre Sachen hat sie alle hiergelassen, oder?«, fragte ich mit einem Blick auf den Haufen Taschen, der in einer Ecke lag. »Hast du was dagegen, wenn ich mir das Zeug mal ansehe?«
»Kein Problem, Schätzchen.« Er nahm einen tiefen Zug von seiner ersten Marlboro des Tages und schüttelte erbost den Kopf. »Wenn sie ihre Klamotten nicht bald holen kommt, schmeiße ich sie in die Mülltonne.«
Lola hatte ihre gesamte weltliche Habe in ihrem verbeulten roten Koffer und dem abgewetzten Rucksack, den sie während eines ganzen Sommers durch Griechenland geschleppt hatte, hierhergebracht. Wenn sie tatsächlich in Schweden war, reiste sie auf jeden Fall mit sehr leichtem Gepäck.
Kaum hatte ich den Rucksack aufgemacht, fiel mir ihr Ausweis in die Hand. Ich sah ihn mir kurz an, guckte nach, wie lange er noch gültig war, und fragte mich, was es wohl zu bedeuten hatte, dass sie ohne dieses Dokument verschwunden war.
Angie und Craig tauschten inzwischen Tipps zur Pflege der Gesichtshaut aus. Ich versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen, aber es gelang mir nicht. Weil mit einem Mal die ganze Luft aus dem Raum gewichen war.
33
»Was hatte das alles zu bedeuten?«, fuhr mich Angie an. »Warum sind Sie plötzlich weggerannt?«
»Lola«, keuchte ich, während ich noch immer völlig außer Atem gegen die Motorhaube ihres Wagens sank.
»Was ist mit ihr?«
»Er hat sie erwischt. Ich weiß, dass er sie hat.«
»Das ist ja wohl nicht allzu wahrscheinlich, oder?«, stellte Angie leicht verärgert fest. »Sie war sauer, weil ihr Kumpel sie einfach in dieses Taxi verfrachtet hat, deshalb hat sie es sich noch mal anders überlegt und sich bei jemand anderem einquartiert.« Und mit spitzen Lippen fügte sie hinzu: »Ihr Kumpel meint, dass sie schon immer ziemlich flatterhaft gewesen wäre und es diesmal einfach übertrieben hat.«
»Nie im Leben.« Ich schüttelte vehement den Kopf. »Schließlich erklärt das nicht, warum sie mich gestern nicht zurückgerufen oder warum sie Craig einfach vor seiner eigenen Wohnung stehen lassen hat.«
»Wie gesagt, er meint, sie wäre eben einfach flatterhaft. Wäre ständig von Party zu Party unterwegs«, klärte mich Angie mit einer tödlich gelangweilten Singsang-Stimme auf, und am liebsten hätte ich ihr dafür eine geklebt.
»Schwachsinn«, widersprach ich ihr. »Ich kenne Lola jetzt zwanzig Jahre, und sie hat mich nie im Stich gelassen. Dafür ist sie viel zu rücksichtsvoll.«
Angie beäugte mich skeptisch von der Seite und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße, als fehlten ihr die Worte für meine Naivität.
Mit zitternden Händen zerrte ich mein Handy aus der Tasche und rief bei der Auskunft an, die mich mit dem Cambridge Theatre verband. Dort meldete sich eine Frau mit einem leichten französischen Akzent, und als ich darum bat, eine gewisse Lola von der Tanztruppe zu sprechen, machte sie sich sofort auf den Weg, um zu sehen, wo meine Freundin war. Einige Minuten herrschte Stille in der Leitung, und ich stellte mir vor, wie die Französin den Zuschauerraum nach Hinweisen durchsuchte und hinter sämtlichen Stühlen guckte, ob die gute Lola vielleicht dort auf Tauchstation gegangen war. Als sie sich schließlich wieder meldete, erklärte sie mir leicht verlegen, dass Lola den letzten beiden Proben unentschuldigt ferngeblieben und deshalb gefeuert worden war.
»Verdammt.« Zähneknirschend steckte ich mein Handy wieder ein.
Wir kamen an einer Baustelle vorbei, auf der zwei riesengroße Kräne Grundsteine verlegten, als schrie die Stadt nach einem weiteren Apartmentblock, und Angie musste sich vorübergehend ganz aufs Autofahren konzentrieren, was ein wahrer Segen war. Denn ein einziges weiteres Wort über meine Freundin hätte wahrscheinlich gereicht, und ich hätte sie gewürgt.
»Bringen Sie mich aufs Revier«, wies ich sie offenbar mit
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