Im Totengarten (German Edition)
Wilkes mit ihrer klaffenden Halswunde gestolpert war. Ich riss meinen Kopf zurück und spuckte ein paar Worte aus.
»Ich weiß, dass du es bist. Die Bleiche hättest du dir sparen können, weil ich dich nämlich noch immer riechen kann.«
Es schien ihn etwas aus dem Gleichgewicht zu bringen, dass ich wusste, wer er war, und schließlich reagierte er genau wie ich gehofft hatte, und holte kraftvoll aus. Dieses Mal jedoch war ich gewappnet, und ich nutzte meine Chance in dem Bewusstsein, dass es wahrscheinlich die letzte war, die ich bekam.
Als die Faust auf mein Gesicht traf, biss ich kraftvoll zu, und während ich den Knochen unter meinen Zähnen spürte, füllte sich mein Mund mit dem bitteren Geschmack der Bleiche an. Er versuchte, vor Empörung ächzend, seine Hand zurückzuziehen, doch ich rammte meine Zähne abermals in seine Haut und hörte ein Knirschen, als der Knochen brach.
Es gab einen kurzen Aufschub, während er nach seiner Wunde sah. Eilig schob ich mir die Augenbinde in die Stirn, sprang von meinem Stuhl und schnappte mir ein Messer aus der Sammlung, die in meiner Nähe auf dem Boden lag. Als er wieder auf mich losging, riss ich meine gefesselten Arme über meinen Kopf, ehe ich sie mit voller Wucht auf ihn heruntersausen ließ. Dabei konnte ich nicht richtig sehen, da mir die verdammte Augenbinde wieder von der Stirn geglitten war, doch ich zielte blind auf sein Gesicht, das hinter einer Sturmhaube verborgen war.
Offenbar hatte ich Glück, denn das Messer fand sein Ziel, und ich rammte es, so tief es ging, in seine Haut und drehte es noch einmal um.
Das dumpfe, unmenschliche Stöhnen, das er ausstieß, klang wie das Geräusch, das Rinder machten, wenn das Brenneisen sie traf. Dann aber ging er mit dem Gesicht zuerst zu Boden, und es wurde totenstill.
Ich weiß nicht, wie lange ich mit dem Messer in der Hand einfach dort stand und zusah, wie sich die Blutlache um seinen Kopf ausbreitete.
Schließlich drang ein leises Klopfen an mein Ohr, und ich schob mir die Augenbinde abermals so weit wie möglich in die Stirn. Im Dämmerlicht des Raumes sahen die insgesamt vier Boxen völlig harmlos aus. Sie waren ein Meter achtzig lang, knapp neunzig Zentimeter breit und wirkten wie die groben Holzkisten, die man häufig in irgendwelchen Gärten für die Lagerung von Kohle oder von Kaminholz sah. Mit wild klopfendem Herzen klappte ich den ersten Deckel auf. Ich wollte gar nicht sehen, was mit meiner Freundin war. Sie wandte mir den Rücken zu, der einer rohen Masse aus Schnittwunden und Abschürfungen glich. Doch zumindest war sie noch am Leben, und als sie sich zu mir umdrehte, erschien es mir, als sähe sie mich trotz des vor Schmutz starrenden Knebels, den sie zwischen ihren Zähnen hatte, mit einem vorsichtigen Lächeln an. Ich durchforstete mein Hirn nach irgendwelchen aufmunternden Worten, brachte aber vor Entsetzen und Erleichterung nicht einen Ton heraus.
Lolas Haut war kreidebleich, und in Höhe ihrer Schultern wies sie unzählige leuchtend violette Hämatome auf. Doch zumindest ihr Gesicht war unversehrt, und nirgends war auch nur der allerkleinste Schnitt zu sehen. Früher oder später würde sie mir Antworten auf meine Fragen geben können, erst mal aber saß sie splitternackt, vor Kälte und vor Schock am ganzen Körper zitternd, da.
Eilig schnappte ich mir eins der kleinen Messer, säbelte damit die Fesseln an den Handgelenken meiner Freundin durch, und obwohl sie ihre Arme im vergeblichen Bemühen, die Knoten durchzuscheuern, wund gerieben hatte, fand sie doch genügend Kraft, um mir den Gefallen zu erwidern, als sie selbst wieder beweglich war.
Ein mit Bleicheflecken übersätes Handtuch war das Einzige, was ich ihr um die nackten Schultern legen konnte, und noch immer brachte Lola keinen Ton heraus. Vollkommen ermattet sank sie auf den Stuhl, auf den er uns gezwungen hatte, und starrte mit großen Augen auf den Kerl, der direkt vor ihr lag.
Vorsichtig hob ich auch die Deckel der beiden anderen Kisten an, doch zum Glück waren sie leer. Offenbar hatte der Typ eine ganze Serienproduktion geplant, nur dass ihm die Zeit davongelaufen war.
Ich machte mir Gedanken, ob wir je wieder aus diesem Raum herauskommen würden, denn Ray Benson hatte schließlich eine Vorliebe für Zahlenschlösser gehabt. Und es wäre höchst bedauerlich gewesen, wenn ich mich mit Erfolg gegen den Kerl gewehrt hätte, nur um dann festzustellen, dass es keinen Fluchtweg aus diesem Gefängnis gab.
Mein Herz wummerte
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