Im Totengarten (German Edition)
genaue Gegenteil von Sean, der der festen Überzeugung war, dass ihn alle Frauen liebten. Er war etwas zu gedrungen, verzog permanent verächtlich das Gesicht, und seine schwarzen Augen waren völlig ausdruckslos.
»Du glaubst doch wohl nicht diesen ganzen Scheiß, der über Will behauptet wird?«
Er reagierte erst nach kurzem Zögern, schüttelte dann aber den Kopf. »Er hat nie und nimmer was damit zu tun.«
In diesem Augenblick wäre ich am liebsten quer über den Tisch gehüpft und hätte ihn mit Küssen überhäuft.
26
»Ich dachte schon, ich würde allmählich verrückt.«
Er schüttelte erneut den Kopf. »Burns ist derjenige, der anfängt abzudrehen. Für ihn gibt es nur schwarz und weiß. Zwischentöne kennt er nicht.«
Seine Augen waren so dunkel, dass ich das Gefühl hatte, in einen tiefen Brunnen zu starren, in den nie auch nur der allerkleinste Lichtstrahl fiel. Er massierte sich den Nacken, als hätte sich seine ganze Müdigkeit dort angestaut. »Ich verstehe nicht, wer deinen Bruder dazu überredet hat, ihm seinen Bus zu leihen.«
»Genau das ist das Problem. Will hat mir seine Freunde nie vorgestellt. Zwar habe ich ein paar der Typen – meistens irgendwelche Junkies –, mit denen er abhängt, irgendwann einmal gesehen, aber ihre Namen hat er nie genannt.«
Alvarez legte frustriert die Stirn in Falten, stellte aber achselzuckend fest: »Er muss sich eben weit genug erholen, um uns alles sagen zu können, was er weiß.«
»Vergiss es. Das kann ewig dauern.«
Er legte eine Hand auf meine Schulter, aber ich verschränkte meine Arme vor der Brust. Ein Heulkrampf am Tag war schließlich eindeutig genug. »Sei jetzt bloß nicht nett zu mir. Das halte ich nicht aus.«
»Wann kann ich dich sehen?«
»Du weißt ja, wo ich bin. Ich sitze in meinem Elfenbeinturm mit den hermetisch abgedichteten Fenstern und dem miserablen Essen fest.«
»Dann essen wir morgen zusammen zu Abend«, legte er kurzerhand fest, und ich lehnte meinen Kopf während eines Augenblicks an seine Brust. Er roch nach Zitrusfrüchten und nach Moschus, und es tat gut, als er mich in die Arme nahm.
Als die Tür geöffnet wurde, machten wir wie schuldbewusste Teenies einen Satz zurück. Angie war gekommen, um mich abzuholen, und ich wandte mich zum Gehen.
Als ich noch mal über meine Schulter blickte, hatte Alvarez mich offensichtlich schon vergessen, denn er wühlte die Beweise im Fall Benson durch, als grabe er nach Gold.
Bis wir das Hotel erreichten, war es schon fast sieben, und die Plaudertasche Angie übergab mich einer älteren Kollegin, der ich nie zuvor begegnet war. Zum Glück jedoch blätterte diese gerade gutgelaunt in einer Zeitschrift, und es schien sie nicht zu stören, als ich kommentarlos in mein Zimmer ging, wo ein Tablett mit einem schlaffen Caesar Salad für mich stand. Lustlos pickte ich daran herum, doch zumindest war die Aussicht auf die angestrahlte Kuppel der St. Paul’s Cathedral wunderbar. Ich war als Kind zum letzten Mal oben auf der Flüstergalerie gewesen, konnte aber noch ganz deutlich die Besucher vor mir sehen, die klein wie Streichholzmännchen durch das Kirchenschiff schlenderten. Die vergoldeten Gesichter der Apostel hatten ausgesehen, als lauschten sie den Gesprächen der Touristen, deren Echo man noch zwischen den runden Wänden hören konnte, nachdem die Stimmen längst verklungen waren.
Ehe ich mit meiner Mahlzeit fertig war, klopfte die Polizistin an die Tür, weil meine Besucherin gekommen war.
Lola stürzte wie ein aufgeregter roter Setter in den Raum, aber ihre Miene machte deutlich, dass die Neuigkeiten, die sie für mich hatte, alles andere als berauschend waren.
»Hier.« Sie drückte mir die üblichen beiden Flaschen Rotwein in die Hände und sah sich suchend um. »Weißt du, wo der Korkenzieher ist?«
Da ich wusste, dass es ratsam war, sie das erste Glas trinken zu lassen, ehe ich sie fragte, was passiert war, wartete ich erst mal schweigend ab. Schließlich aber blickte ich sie fragend an.
»Bei dir scheint gerade auch nicht alles rund zu laufen, Lo.«
»Das kannst du, verdammt noch mal, ruhig laut sagen.« Sie vergrub die Hände in den wirren roten Locken und stieß theatralisch schluchzend aus: »Es ist wegen Lars.«
»Was hat er denn gemacht?«
»Er hat sich nach Schweden abgesetzt.«
Ich nahm sie in den Arm. »Er ist total verrückt nach dir, das kann ja wohl nicht sein.«
»Die Polizei hat ihn routinemäßig überprüft, und dabei ist rausgekommen, dass er jede
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