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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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Schrei ihn unterbrach. Die Schwester hatte offenbar kein Glück bei Will. Angesichts des Höllenlärms, der schon wieder aus seinem Zimmer drang, hätte ich mir am liebsten die Ohren zugehalten. Er schrie so dumpf und gleichzeitig so gellend wie ein Tier, das auf dem Weg zum Schlachthof war.
    Als Angie kam, um mich zurück in mein Hotel zu fahren, war ich regelrecht erleichtert, und zum ersten Mal ersparte sie mir sogar ein Gespräch. Sie lief schweigend neben mir zum Wagen, und auf der Fahrt starrte ich aus dem Fenster, ohne dass ich irgendetwas sah. Etwas stimmte nicht an diesem Fall. Mein Bruder konnte ganz unmöglich in die Morde an den jungen Frauen verwickelt sein, aber ich musste schleunigst herausfinden, wer versuchte, ihn in diese Sache reinzuziehen. Während des Bruchteils einer Sekunde schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass es vielleicht doch eine Verbindung zwischen ihm und diesen Morden gab, aber ich verscheuchte ihn umgehend wie ein lästiges Insekt.
    Angie verzog keine Miene, als ich darum bat, statt ins Hotel auf das Revier zu fahren, und sofort nach unserer Ankunft holte sie den Schlüssel zum Archiv.
    »Ich werde Sie nicht begleiten«, sagte sie und presste sich einen Finger unter die Nase. »Von dem ganzen Staub gehen mir sofort die Nebenhöhlen zu.«
    Ich überflog die Haufen staubbedeckter Aktenordner und die unzähligen Hefter in den nummerierten Pappkartons und schlug dann willkürlich den ersten auf, der mir in die Hände fiel. Dutzende von Aussagen von Nachbarn, Passanten und Verwandten der verschwundenen Mädchen waren darin nach dem Datum sortiert, und ich brauchte eine halbe Ewigkeit, bis ich mit diesem und drei anderen Ordnern fertig war. Einer von ihnen war voller Innen- und Außenaufnahmen des Benson’schen Heims. Mehrere Bilder zeigten, wie das Haus bei der Suche nach Leichen auseinandergenommen wurde, wobei es einen verzierten viktorianischen Kamin besonders oft zu sehen gab. Offenkundig hatte Ray ihn unter Aufbietung seines ganzen handwerklichen Könnens demontiert, eine Aushöhlung für zwei der Opfer in die Wand gehauen und ihn dann wieder originalgetreu zusammengebaut.
    Gerade als ich meine Arbeit für den Tag beenden wollte, fiel mein Blick auf eine Aufnahme, die mir schon mal begegnet war. Es war dasselbe Bild von Suzanne Wilkes, das auch in ihrer Wohnung hing, nur dass sie hier inmitten einer noch viel größeren Gruppe von Menschen stand. Im Hintergrund ragte ein großes graues Haus aus einem verwilderten Garten auf.
    Mein Herz zog sich zusammen. Sechzehn oder siebzehn Leute standen dort in einem Kreis. Marie Benson stand im Hintergrund und sah den Fotografen mit ihrem seltsamen Zahnlücken-Lächeln an.
    Das Gesicht, bei dessen Anblick mir der Atem stockte, war allerdings das von Will. Er stand ein wenig abseits und guckte so ernst, als könnte er nicht glauben, wo er war. Und so ging es mir auch.
    Das Foto fiel mir aus der Hand. Wie viel Zeit hatte er wohl, vor aller Welt versteckt, in diesem Höllenloch verbracht, während alle diese Mädchen umgekommen waren?
    Meine Gedanken überschlugen sich. Sicher hatten Burns und Alvarez das Foto ebenfalls gesehen und wussten, dass mein Bruder eine Zeitlang in dem Heim gewesen war. Oder hatte er möglicherweise einen falschen Namen angegeben und das Heim verlassen, ehe die Ermittlungen in Gang gekommen waren? Der Fall war schon so lange abgeschlossen, dass mein Bruder für die Polizei wahrscheinlich nur ein namenloser Obdachloser war, auf dessen Bild der Staub der Jahre lag.
    Während ich die Aufnahme zurück in ihre Plastikhülle schieben wollte, hörte ich, dass jemand kam. Ohne nachzudenken, steckte ich das Foto ein, und dann stand auch schon Alvarez in der Tür. Er sah verlegen aus, als hätte ich ihn bei etwas Verbotenem erwischt. Unter seinen Augen lagen dicke graue Ringe, und er sah total erledigt aus.
    »Du hast es mal wieder mit der Arbeit übertrieben«, meinte ich.
    »Ich habe keine andere Wahl.« Er fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht. »Sonst taucht wahrscheinlich bald das nächste tote Mädchen auf, splitternackt und mit verdammten Kreuzen in der Haut.«
    »Ich glaube die ganze Zeit, dass die Antwort irgendwo in diesen Akten steht. Auch wenn ich nicht sagen kann, warum.«
    »Ich auch.« Alvarez sah auf die Berge staubigen Papiers, als finge der entscheidende Hinweis plötzlich an zu glitzern und verriet sich auf diese Art. »Und du willst deinem Bruder helfen, stimmt’s?«
    Ich sah ihn wieder an. Er war das

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