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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Einsturz der Eishalle …«, sagte Tuula. »Kennst du die Frau?«
    »Nein«, sagte Hämäläinen.
    »Du musst doch irritiert gewesen sein, dass sie nicht gesprochen hat. Ihr habt euch minutenlang schweigend gegenübergesessen. Wieso hast du denn nichts gesagt?«
    »Mir fiel nichts ein«, sagte Hämäläinen.
    »Könnte die Frau diejenige sein, die dich niedergestochen hat?«
    »Natürlich«, sagte Hämäläinen.
    »Natürlich?«, fragte Tuula.
    »Natürlich war sie das.«
    »Also hast du sie wiedererkannt?«
    »Nein. Wie soll ich jemanden wiedererkennen, den ich nie gesehen habe?«
    »Kai, ich verstehe das alles nicht.«
    »Geht mir genauso«, sagte Hämäläinen.
    »Können die Nachrichten das bringen?«, fragte Latvala.
    »Hm?«, fragte Hämäläinen.
    »Können sie dich so zitieren? Dass es die Frau ist, die dich … attackiert hat. Dass du das zumindest vermutest.«
    »Die Nachrichten …«, sagte Hämäläinen.
    »Ja, ich frage, weil Lundberg mich angesprochen hat«, sagte Latvala. »Der macht heute die Redaktion, und sie haben von der Polizei noch keine Stellungnahme. Momentan weiß niemand genau, was eigentlich passiert ist.«
    »Ah«, sagte Hämäläinen.
    »Sie fragen, ob sie ein Interview mit dir bringen könnten«, sagte Olli Latvala.
    »Ein Interview«, sagte Hämäläinen. Er musste plötzlich lachen.
    »Ich gebe nur weiter, worum Lundberg mich gebeten hat«, sagte Latvala.
    »Kein Problem, Olli«, sagte Hämäläinen. »Wirklich, das ist doch nicht deine Schuld.« Er legte eine kurze Pause ein, kicherte noch einmal in sich hinein.
    Nach Hause fahren, dachte er. Ein Feuerwerk abfackeln. Ein richtiges. Den dunklen Himmel erleuchten. Irene lächelt. Die Kobolde machen große Augen.
    Er stieß das Lächeln von seinem Gesicht und fühlte sich für Momente angefüllt von schwindender, flüchtiger Kraft, als er sagte:
    »Ich fürchte, ich muss das ablehnen. Ich habe für dieses Jahr die Schnauze voll von Interviews.«
89
    Kimmo Joentaa und Paavo Sundström übernachteten wieder in Helsinki. In dem selben Hotel. Es war nach zwei Uhr in der Nacht, als sie eincheckten.
    Das Verhör von Salme Salonen war mehrfach fortgesetzt und wieder abgebrochen worden. Die meisten der Fragen, die Sundström und zwischenzeitlich Westerberg gestellt hatten, hatte sie mit einem einfachen »Ja« beantwortet.
    Kimmo Joentaa hatte hinter der Fensterscheibe gestanden und die Frau angesehen, und je länger sie zugestimmt, je öfter sie genickt hatte, desto weniger hatte er begriffen.
    Salme Salonen hatte von einem Bild gesprochen, das sie sah und das sie auf Nachfrage von Sundström nicht näher hatte skizzieren können.
    »Das bringt nichts«, hatte sie gesagt.
    »Warum überlassen Sie es nicht mir, einzuschätzen, was mir hier was bringt und was nicht?«
    Sie hatte genickt und geschwiegen.
    Zur Ruhe gekommen, hatte Joentaa gedacht. Zum Stillstand.
    Mehrfach hatte sie gesagt: »Es hat nicht geholfen.«
    Sundström hatte nicht mehr nachgefragt, vermutlich, weil er nicht mehr daran geglaubt hatte, nähere Erläuterungen zu diesem Satz zu erhalten.
    »Als der dritte Mann auf dem Boden lag, war ich nicht mehr wütend«, hatte sie gesagt.
    Sundström hatte genickt.
    »Ich weiß gar nicht mehr, was das ist. Wut.«
    Sundström hatte genickt.
    Westerberg war nach Hause gefahren, und Sundström und Joentaa hatten ein Taxi zum Hotel genommen.
    Am Empfang stand die Frau, die Joentaa das Computerterminal geöffnet hatte, vor wenigen Tagen, als er in der Nacht die DVD der Talkshow hatte ansehen wollen. Sie gab ihnen die Schlüssel und schien etwas sagen zu wollen. Sie hatten sich schon abgewendet, als die Frau zu sprechen begann. »Entschuldigung. Wegen der Sache vor einigen Tagen. Ich war etwas unfreundlich.«
    Joentaa drehte sich um. »Kein Problem«, sagte er.
    »Ich habe Sie im Fernsehen gesehen«, sagte sie. »Sie beide. Ich wusste ja nicht …«
    Im Fernsehen, dachte Joentaa.
    »Wie sie mit dieser Frau losgefahren sind. Ist sie denn … ist sie … schuldig?«
    Schuldig, dachte Joentaa.
    Sie fuhren mit dem Aufzug in den vierten Stock und liefen einen roten und orangen Flur entlang.
    Sundström hörte sein Handy ab. »Nurmela«, sagte er. »Gratuliert uns.« Er schaltete das Handy ab und wünschte Kimmo eine gute Nacht.
    Joentaa betrat sein Zimmer. Er stand lange in der Dunkelheit und dachte an das Bild, das Salme Salonen sah und das sie nicht beschreiben konnte.
    Hinter dem Fensterglas schossen von Zeit zu Zeit späte Raketen in den Himmel.

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