Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
Erleichterung. Sie wiederholte die Prozedur noch einmal und wischte dann sanft über seine Haut.
„Mach die Augen zu“, flüsterte sie.
Einen Augenblick später ergoss sich Wasser über sein Gesicht und lief durch sein Haar, beruhigte seine Nerven und wusch drei Tage Schweiß und Schmutz von ihm ab.
Er ließ seinen Arm neben Rhia in den Fluss gleiten und streichelte ihren vom Wasser kühlen glatten Bauch mit seinem Handrücken. „Kitzelt das nicht?“, murmelte er.
„Ich bin zu müde, um kitzlig zu sein.“ Sie drückte den Stoff noch einmal über seinen Haaren aus. „Und im Augenblick auch zu zufrieden.“
Marek lächelte. Es war seltsam, sich nach so vielen Tagen Kampf und Sorge wieder glücklich zu fühlen. Am Morgen würde er nach Hause zurückkehren, angeschlagen, aber siegreich.
Eine lang ersehnte Brise strich über seinen Körper, kühlte ihn und trug die tausend Düfte des Waldes mit sich, die ihm so vertraut waren.
Er setzte sich auf. Einer dieser Düfte gehörte nicht dorthin. Einer dieser Düfte sollte mittlerweile eine Wochenreise von Asermos entfernt sein.
Er spähte den Fluss hinauf. Nichts.
„Was ist los?“, flüsterte Rhia.
Er legte sich einen Finger auf die Lippen und schloss die Augen. Der Mensch in ihm wollte erst sicher sein, aber der Wolfwusste es besser. Die Wahrheit fand sich in Geräuschen und Düften. Letztere hingen schwer in der feuchten Luft, getragen vom abflauenden Wind. Als die Blätter der Bäume zu rascheln anfingen, drangen auch die anderen Geräusche zu ihm vor.
Ein rhythmisches Klatschen ins Wasser, zu präzise und gleichmäßig, um von einem Fisch oder Frosch zu stammen.
Marek öffnete die Augen und blickte in Richtung des nahen Ufers. Er hätte nicht genug Zeit, es zu erreichen, ohne entdeckt zu werden. Leise versteckte er seinen Bogen und die Pfeile hinter einer Ausbuchtung im Felsen und ließ sich dann lautlos ins Wasser gleiten.
Entsetzt keuchte Rhia auf. „Marek, dein Verband …“
„Schsch. Ganz still.“
Er stellte sich hinter sie und schlang die Arme fest um ihren Körper.
Dann wurde er unsichtbar – und Rhia mit ihm.
Das Schiff erschien hinter der Biegung flussaufwärts, nahe der Mitte der Wasserstraße. Es war lang und niedrig, und seine Segel hingen schlaff in der flauen Luft. Mehrere Reihen Ruder ragten wie die Beine eines Tausendfüßlers aus seinen Seiten, aber diese Glieder bewegten sich wie eins vor und zurück und schoben das Schiff durch das regungslose Wasser. Es trieb an ihnen vorbei und verdeckte einen Augenblick lang die trübe Sicht auf das weit entfernte gegenüberliegende Ufer.
Noch ein Schiff tauchte auf, genau wie das erste, dann ein weiteres. Neun Fahrzeuge der Nachfahren trieben an Marek und Rhia vorbei, die unentdeckt und fassungslos dastanden.
Der Feind verließ den Ort, an den er nie hätte kommen dürfen.
Kalindos. Sein Zuhause.
2. KAPITEL
M arek umklammerte Rhias Taille und bemühte sich, auf dem Rücken der Stute zu bleiben, während sie durch die dunklen Wälder ritten. Große Äste hingen tief über den Pfad und brachten ihn nach jeder Wendung dazu, sich zu ducken.
Vor ihnen ritt Alanka neben Adrek. Der Puma hatte wegen seiner Gabe der Nachtsicht die Führung übernommen. Elora eilte auf ihrem eigenen Pony hinter ihnen her, und nach ihr folgten zwei Bärenmarder, zwei Rotluchse und ein Bär. Falls sie diese Geschwindigkeit beibehielten, konnten sie Kalindos bei Tagesanbruch erreichen – in weniger als einer Stunde –, aber Marek konnte es nicht schnell genug gehen.
Der Rest der Kalindonier folgte ihnen zu Fuß in zwei Gruppen: eine größere Gruppe Gesunder, die das Dorf am folgenden Morgen erreichen würde, und eine kleinere, die aus Verwundeten und Pflegern bestand.
Bald wurde der Hügel steiler, und sie verlangsamten ihr Tempo. Die Ponys schnauften vor Anstrengung. Im trüben Morgenlicht erkannte Marek die südlichste Grenze seiner Jagdgründe. Er kannte hier jeden Zweig und jeden Stein so gut wie die Winkel seines eigenen Baumhauses. In seiner Brust loderte der Zorn auf bei dem Gedanken, dass die Schwerter der Nachfahren dieses friedliche Stück Wald, das er seine Heimat nannte, beschmutzt haben könnten.
Als der Wind sich drehte, trug er den Duft mit sich, den er gefürchtet hatte.
Blut.
„Beeilt euch!“, rief er.
Sie trieben ihre erschöpften Ponys ein letztes Mal an. Der Pfad nach Kalindos wurde breiter, und als die ersten Sonnenstrahlen die Berge scharlachrot färbten, erreichten die Reisenden
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