Im Zeichen der Roten Sonne
wortlos den Raum verlieÃ. Mir brach erneut der Schweià aus. Nach einer Weile hörte ich fernes Stimmengewirr. Die Schiebetür wurde beiseitegestoÃen. Ein Rascheln von Stoff und leise, beherrschte Atemzüge machten, dass ich die Augen öffnete und meinen Onkel Tsuki-Yomi »Majestät-Wächter-des-Mondes« in eleganter Haltung auf der Matte knien sah. Sein Gewand mit den breiten Flügelärmeln war schlicht, doch aus allerfeinstem Leinen. Das lange, glänzende Haar umrahmte sein ebenmäÃiges Gesicht, in dem die scharfen Augen aufmerksam blickten. Er wusste, dass ich aus meinem Trancezustand erwachte und noch verstört und empfindsam war. Und so sprach er mit groÃer Behutsamkeit zu mir:
»Ich danke Euch für diese Unterredung. Das Volk und die Wachen sind in Aufregung. Beunruhigende Gerüchte gehen um. Jeder sagt, die Göttin habe Euch ein Zeichen gesandt â¦Â«
Während er sprach, versuchte ich, mich aufzurichten. Miwa bemerkte, wie schwach ich noch war, glitt hinter mich, hob mich hoch. Ich sagte stockend:
»Was Ihr vernommen habt, ist wahr. Ich spüre grauenvolle Dinge voraus. Die Sperbermenschen aus dem Lande Kuna rücken über den Inselweg gegen unsere Stadt vor â¦Â«
Mein Onkel saà vollkommen ruhig, den Kopf hocherhoben. »Dann werden sie heute Nacht angreifen.«
Ich schluckte würgend. »Ihre Waffen sind bereit.«
Er schob die Hände in die langen Ãrmel seines Gewandes.
»Wer ist ihr Anführer?« Seine Stimme klang bitter, doch mit einem Unterton von Hohn, der mir die Hitze in die Wangen trieb.
»Ich ⦠ich konnte ihn nicht sehen. Er trägt eine Maske.«
»Alle Sperbermenschen tragen eine Maske«, erwiderte gelassen Tsuki-Yomi.
Ich bat um Wasser.
Miwa hob den Krug, füllte eine Schale. Ich trank, die Schale schlug gegen meine Zähne; ich verschüttete die Hälfte. Meine Haut prickelte. Worte erklangen in meiner Erinnerung, gleich einem fernen, rauschenden Echo: »Dein Name sei verflucht für die zukünftigen Generationen. Er sei für immer aus dem Gedächtnis und den Träumen verbannt!«
Wer hatte diese Worte, aus einer anderen Zeit, aus einem anderen Leben, ausgesprochen? Ein verschwommenes Bild tauchte vor mir auf, nahm Gestalt an, wurde deutlicher: Die Sonne brannte wie heiÃes Silber, der Himmel glühte wie Stahl. Ein Mann war vor dem Heiligtum an eine Steinsäule gefesselt. Blut tränkte seine Kleider, bildete braune Flecken auf dem Sand, spritzte auf den Saum meines Gewandes.
Das Bild zuckte durch mein Gehirn, wie das Flackern eines Blitzes hinter den Wolken. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich erbrach mich auf die Matte.
Als Miwa mir das verschwitzte Gewand wechselte, begriff ich, dass mein Onkel sich zurückgezogen hatte. Ich überlieà mich ihren Händen, die mich wuschen, mich auf ein sauberes Lager betteten. Die Müdigkeit löste jeden bewussten Gedanken in mir auf. Jetzt endlich konnte ich schlafen.
Das behutsame Aufgleiten der Schiebetür weckte mich. Meine Kopfschmerzen waren verflogen. Ich fühlte mich ruhig und entspannt. Ich schlug die Augen auf, sah den Raum in goldrotes Abendlicht getaucht. Mir war, als ruhte ich im Innern einer Muschel. Das Bewusstsein einer Gegenwart lieà mich den Kopf wenden. Ich erblickte eine Dienerin meiner Mutter in bescheidener Haltung neben meinem Lager knien. Sie verbeugte sich und teilte mir mit, dass die Königin mich zu sprechen wünsche.
Miwa brachte mir Tee und eine Schale mit kaltem gewürztem Gemüse. Ich aà mit Appetit und spürte meine Kräfte zurückkehren. Dann kleidete mich Miwa in ein seidenes Ãbergewand, kämmte mein Haar, bis es in glatten Wellen über meinen Rücken fiel. Eine einzige Strähne wurde hochgesteckt, damit der Heilige Kamm der Priesterinnen befestigt werden konnte. Mein Gesicht wurde gepudert, die Brauen mit Holzkohle nachgezogen, die Lippen rot geschminkt.
Die letzten Sonnenstrahlen fielen schräg in die Gänge, als ich mich zu den Gemächern der Königin begab. Obwohl ich aufrecht ging, führte mich Miwa in stummer Besorgnis am Ellbogen. Ich lieà sie gewähren.
Meine Mutter bewohnte den Teil des Gebäudes, der »Ort des Mittelpunktes« genannt wurde und auf Pfählen ruhte. Eine groÃe, offene Halle, in der meine Mutter bei offiziellen Anlässen erschien und ausländische Gesandte empfing, überragte den mit
Weitere Kostenlose Bücher