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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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…«, flüsterte sie, überrascht und verächtlich. »Wie konnten sie ein solches Wagnis eingehen?«
    Jäh hob ich die Augen, blickte meiner Mutter unhöflich ins Gesicht. Ich hatte niemals darüber nachgedacht, ob es schön wäre oder nicht. Ich entdeckte auf einmal, dass es ein leeres Gesicht war, unseren Metallspiegeln ähnlich, die Licht wie Schatten in sich aufnehmen. Und obwohl kein Wimpernzucken ihre Augen bewegte, wusste ich, dass sie in mir ebenso klar sah wie in den Rissen verbrannter Knochen, wenn sie das Schulterblatt eines Damhirsches in die Räucherschale legte und das Orakel befragte. Und dass sie alle meine Gedanken las, die ich nicht auszusprechen wagte.
    Ich schluckte und sagte:
    Â»Sie liegen auf der Lauer und warten auf die Nacht. Ein Mann hat ihnen den Geheimweg gezeigt.«
    Â»Wie kann ein Fremder davon wissen?«
    Ich knetete meine Hände und schwieg. Nach wie vor saß meine Mutter vollkommen ruhig. Doch in ihren Augen mit den übergroßen Pupillen glomm ein seltsamer Schimmer auf.
    Â»Ein Mann aus unserem Volk?« Sie sprach gelassen. »Ist es das, was du sagen willst?«
    Ich nickte stumm. In mir wollten sich keine Worte bilden. Stattdessen hallte in meinem Kopf ungestümes, stolzes Gelächter wider. Ich entsann mich an wirbelndes Haar, an tiefschwarze Augen mit einem violetten Schimmer, sah über einem bronzenen Helm den hohen Schatten eines Hirschgeweihs.
    Der Blick meiner Mutter durchforschte mich unerbittlich. Ich schloss mich ein, verkapselte mich, um ihr meinen Geist zu verbergen. Meine Anstrengung war vergeblich. Sie durchschaute mich. Wortlos bedeckte ich mit dem Ärmel mein Gesicht. Stille. Nur die Fackel knisterte. Als ich schließlich den Kopf hob, bewegte sich meine Mutter zum ersten Mal. Sie wandte sich auf ihren Knien um und ergriff den Schläger. Zweimal fiel das Holz auf die bronzene Scheibe. Der erste Ton verursachte ein Summen, das ich im Boden unter mir spüren konnte. Und während der zweite Ton nachschwang und erlosch, sprach die Königin gleichmütig:
    Â»Man soll das Volk vor der Gefahr warnen. Kommt es zu einer Schlacht, werde ich sie anführen.«

3
    M ein Name, Toyo, bedeutet »Schimmernde Perle« und ich galt als die Tochter eines Hirsches. Es hieß, die Königin habe mich im Heiligen Wald von einem Hirsch empfangen, der das Aussehen eines Menschen angenommen hatte, um sie zu verführen. Das einfache Volk schenkte dieser Fabel Glauben. Die Herrscherin stand über allem, erhaben wie die Sonne, die sie verkörperte, fleckenlos und weit entfernt von allen Alltäglichkeiten. All ihr Tun war geprägt von Überirdischem. Und da der Hirsch als eine Gottheit galt, wurde meine Geburt als ein besonders großes Ereignis gefeiert.
    Natürlich klatschte man bei Hof, aber die Ehrerbietung, die man der Königin entgegenbrachte, übertrug sich auch auf mich, aufdringliche Gerüchte gelangten kaum an meine Ohren. Als ich jedoch heranwuchs und meine Neugierde geweckt wurde, hörte und sah ich vieles, was mich für das »Wunder« meiner Geburt eine ganz menschliche Erklärung finden ließ.
    So nahm ich an, dass meine Mutter, deren Stellung sie nicht zur Keuschheit verpflichtete, ihr Lager einst mit einem Jäger geteilt hatte, was wohl die Fabel des Hirsches erklärte. Auch den Zeitpunkt glaubte ich zu kennen, verlangte doch die Tradition, dass die Herrscherin sich zur Frühlings-Tagundnachtgleiche in Begleitung einer jungen Priesterin in den Eichenwald begab, um im Gebirgsbach die Tücher für die Kulthandlungen zu waschen. Ich stellte mir Himiko vor fünfzehn Jahren vor - anmutig, im hochgeschürzten roten Gewand, das offene Haar bei jedem Schritt wie eine Zauberwolke wehend.
    Der Eichenwald erstreckte sich über einen Hügel. Ein Pfad schlängelte sich durch ein Gewirr von Zweigen und hohen Gräsern bergan. Ein Wasserfall rauschte. Er entsprang einer Felswand und ergoss sich wie schäumendes Licht in ein natürliches Becken. Ich stellte mir vor, wie meine Mutter und die kleine Priesterin ihre Körbe niederstellten. Sie wuschen und klopften die Wäsche auf flachen Steinen, spülten sie im klaren Wasser. Dann breiteten sie die Tücher in der Sonne zum Trocknen aus. Es wurde heiß. Insekten flimmerten im Licht. Am Rande des Wasserfalles schillerte ein Regenbogen. Meine Mutter und ihre Begleiterin streckten sich im Schatten aus, um ein

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