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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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unter allen menschlichen Erfahrungen ein reineres Vergnügen als das Entkommen?
    »Hey, haben Sie eigentlich irgendwelche Pläne, Sherlock zurückzubringen?« brüllte Pinkus hinter ihm her. »Sie können ihn ja nicht da oben in den Schweizer Alpen begraben! Wir wollen neue Stories! Ihre Leser stehen vor einem Aufstand!«
    Doyle drehte sich nicht um. Vor ihm ein geschäftiges Knäuel: Larry mit dem Gepäckwagen und Innes, der den Träger bezahlte. Dockarbeiter schulterten ihre Koffer und trugen sie die Gangway hinauf. Weiter unten am Pier wurde eine Reihe schlichter Holzsärge von einem Lastwagen direkt in den Laderaum des Schiffes geschafft: Verstorbene auf der Heimreise zur Beerdigung.
    Seltsam, dachte Doyle; bei jeder Atlantiküberquerung werden auch Tote nach Hause überführt, doch zumeist verlud man die Särge in der Nacht vor dem Auslaufen, wenn die zahlenden Passagiere es nicht sehen konnten. Diese hier mußten in allerletzter Minute eingetroffen sein.
    Besorgte Offiziere schauten vom Achterdeck auf Doyle herab; einer sah auf seine Uhr. Zwei Minuten vor zwölf. Von den Toten abgesehen, sah es aus, als seien sie die letzten Passagiere, die an Bord gingen – nach ihnen kam nur noch Ira Pinkus.
    Oder mit etwas Glück auch nicht.
    »Ich fürchte, ich hab’ keine Zeit mehr, Sie an Bord zu bringen«, meinte Larry.
    »Dann wollen wir uns jetzt verabschieden. Hier ist die Korrespondenz von heute morgen.« Doyle reichte ihm einen stattlichen Packen Briefe.
    »Tut mir wirklich leid, daß ich nicht mitkomme.« Larry starrte auf seine Füße und sah so traurig aus wie ein Bluthund.
    »Mir nicht weniger, Larry«, sagte Doyle und klopfte ihm herzlich auf die Schultern. »Ich weiß nicht, wie ich ohne Sie zurechtkommen werde, aber jemand muß die Heimatfront im Auge behalten, und das könnte keiner besser als Sie, alter Junge!«
    »Ist bloß so ’ne scheußliche Vorstellung, daß mal ’n Augenblick kommt, wo Sie mich vielleicht brauchen und ich dann nicht zur Stelle bin. Das ist alles.«
    »Innes wird Sie sicher erstklassig vertreten.«
    »Oder sterben bei dem Versuch«, sagte Innes und salutierte zackig.
    »Wir werden Ihnen jeden Tag schreiben. Und Sie tun es auch. Das hier ist für die Kinder.« Doyle überreichte ihm eine Tüte mit Geschenken und Süßigkeiten.
    »Sie werden uns schrecklich fehlen«, sagte Larry mit zitternder Unterlippe.
    »Achten Sie darauf, daß die Missus vor feuchtkalter Luft geschützt ist; seien Sie so gut.« Doyle umfaßte Larrys Arm, und seine Stimme klang rauh vor Bewegung. Er wandte sich ab und kämpfte mit den Tränen. »Los geht’s. Innes. Vorwärts. Auf zur Eroberung Amerikas.«
    » Bon voyage, Sir«, rief Larry und winkte enthusiastisch, obwohl Doyle und Innes erst zwei Schritte die Gangway hinaufgegangen waren. »Bon voyage.«
    Der Zahlmeister begrüßte sie herzlich, als sie an Bord kamen. Larrys wackere Gestalt stand unten auf dem Dock; er wedelte mit dem Arm wie mit einer Fahne.
    Und dann sah Doyle, wie hinter Larry jemand pfeilschnell vom Zollhaus zur Gangway spurtete.
    Ira Pinkus. Verdammt.
    Doyle trat hinaus auf das Oberdeck und atmete die erfrischende Salzluft tief ein; zum ersten Mal, seit die Schlepper sie hinausbugsiert hatten, war er allein. Ein Mann von fünfunddreißig Jahren mit einem Körpergerüst von gut einem Meter fünfundachtzig, ausgefüllt von hundertachtzig Pfund Muskelmasse, die durch ein strenges Programm von Box- und Turnübungen gut in Form gehalten wurde. Der Schnurrbart dick, schwarz und wohlgepflegt, das Gesicht runder inzwischen, gefurcht und geformt von Erfahrung, der Blick bestimmt von Autorität, die ein weltlicher Erfolg rechtfertigte, ein Erfolg, den er, wie seine Kleidung und seine Haltung vermuten ließen, mehr als angenehm fand. Doyle hatte die magnetische, unbefangene Ausstrahlung eines Mannes, dem Großes bestimmt war, aber er selbst betrachtete sich immer noch zuerst und zuoberst als Familienvater, und diese lange Trennung von seiner Frau und seinen drei Kindern bedeutete für ihn eine mühsame Entbehrung.
    Doyle hatte rasch herausgefunden, daß die Staffage des Ruhms keinerlei Schutz vor der Plage der unseligen kleinen Überraschungen im Leben bot, ganz zu schweigen von den tieferen Mißhelligkeiten der Einsamkeit oder der emotionalen Unruhe, während die tägliche Aufrechterhaltung dessen, was als Wohlstand empfunden wurde, einen so gewaltigen Kapitalaufwand erforderte, daß die Spanne zwischen Einkünften und Ausgaben sich auf jene

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