Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
murmelte Billy T.
Der Abteilungsleiter bedachte ihn mit einem warnenden Blick.
Billy T. hatte verstanden. Er wandte sich den drei Männern von der Technik zu, die bereits ihrer Pflicht nachkamen: Sie fotografierten, maßen aus, pinselten Fingerabdruckpuder aus und bewegten sich in diesem Büro mit einer Eleganz, die alle überrascht hätte, die das noch nie gesehen hatten. Sie gaben vor, diese Arbeit gewohnt zu sein, alles als reine Routine zu betrachten. Aber im Zimmer herrschte eine beinahe sakrale Stimmung, nichts war zu bemerken vom üblichen Galgenhumor, und die gedrückte Stimmung wurde dadurch verstärkt, daß die Temperatur zu steigen begann. Eine tote Ministerpräsidentin lud einfach nicht zu lockeren Sprüchen ein.
Wie immer, wenn er vor einer Leiche stand, dachte Billy T., daß nichts so nackt war wie der Tod. Diese Frau zu sehen, die bis vor drei Stunden das Land regiert hatte, diese Frau, die ihm nie begegnet war, und die er doch Tag für Tag im Fernsehen und in den Zeitungen gesehen und im Radio gehört hatte; Birgitte Volter zu sehen, diesen Inbegriff einer öffentlichen Person, die jetzt tot über ihrem eigenen Schreibtisch hing – das war schlimmer, peinlicher, als habe er sie ohne Kleider überrascht.
»Irgendwelche Waffen?« erkundigte er sich bei einem jungen Polizisten, der sich für einen Moment Richtung Tür zurückgezogen hatte, er trank Wasser aus einem Plastikbecher, den er dann einer uniformierten Kollegin reichte, die im Vorzimmer stand. Der junge Mann schüttelte den Kopf.
»Nein.«
»Nein?«
»Noch nicht. Keine Waffen.«
Er wischte sich mit dem Jackenärmel den Mund ab.
»Die finden wir schon noch«, sagte er dann. »Wir haben noch längst nicht überall gesucht. Das Gebäude ist ja der reinste Irrgarten. Aber hier drinnen ist die Waffe wahrscheinlich nicht.
Billy T. fluchte leise.
»In dieser Bude gibt es doch mindestens vierhundert Büros. Dürfte ich vielleicht anregen, daß wir Verstärkung bekommen?«
Letzteres sagte er mit einem angestrengten Lächeln und fuhr sich über seinen glattrasierten Schädel.
»Sicher«, sagte der Abteilungsleiter. »Die Waffe müssen wir finden, das ist klar.«
»Ist doch wohl selbstverständlich«, sagte Billy T. gerade so leise, daß niemand von den anderen es hören konnte.
Er wollte weg hier. Er wurde hier nicht gebraucht. Er wußte, daß die Tage, Wochen, ja vielleicht auch Monate, die vor ihnen lagen, die reine Hölle sein würden. Es würde für lange Zeit Ausnahmezustand herrschen. Keine freien Tage, an längeren Urlaub war gar nicht zu denken. Keine Zeit für die Jungen. Für vier Kinder, die doch zumindest am Wochenende Anspruch auf ihn hatten. Aber im Moment wurde er nicht gebraucht, nicht hier, nicht in diesem rechteckigen Büro mit dem wunderbaren Blick auf das abendlich beleuchtete Oslo und mit einer Frau, die tot über dem Schreibtisch lag.
Wieder packte ihn das Gefühl von Einsamkeit und von Sehnsucht nach ihr, seiner einzigen Vertrauten. Sie hätte jetzt dasein müssen, zusammen waren sie unbesiegbar, allein hatte er das Gefühl, daß seine zwei Meter zwei und das Petruskreuz im Ohr nichts nützten. Zum letzten Mal wich sein Blick der Blutlache unter dem Frauenkopf aus.
Er wandte sich um und faßte sich an die Brust.
Hanne Wilhelmsen war in den USA und würde erst zu Weihnachten zurückkehren.
»O verdammt, Billy T.«, flüsterte der Polizist, der vorhin Wasser getrunken hatte. »Mir ist wirklich speiübel. Das ist mir noch nie passiert. Nicht am Tatort, meine ich. Nicht seit meiner Anfangszeit.«
Billy T. sagte nichts dazu, er blickte den Mann nur kurz an und bedachte ihn mit einer blitzschnellen Grimasse, die sich mit einigem Wohlwollen als Lächeln deuten ließ.
Ihm selbst war auch ziemlich schlecht.
20.30, Redaktion der Abendzeitung
»Da scheint echt was los zu sein«, keuchte Knut Fagerborg. »Jede Menge Leute, jede Menge Autos, überall Sperren, und dabei ist es so still! Verdammt, sind die alle totenernst!«
Er ließ sich in einen viel zu niedrigen Bürosessel fallen und streckte ausgiebig die Beine aus, was ihm das Aussehen einer Spinne verlieh.
Liten Lettviks linkes Knie schmerzte unglaublich. Sie erhob sich und stellte behutsam den Fuß auf den Boden, während sie vorsichtig die Belastung des Knies erhöhte.
»Das will ich selber sehen«, sagte sie und zog eine Schachtel Zigarillos aus der Tasche.
Vorsichtig und langsam, während Knut Fagerborg von einem Fuß auf den anderen trat und viel
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