Im Zweifel suedwaerts
seine Utensilien beiseite und eine stolze Hand auf die Schulter seiner kichernden Braut. Der Wein schien zu wirken.
»Liebe Gäste«, verkündete Joe, »Ladies and Gentlemen! Und nun das große Finale, der Höhepunkt dieses unvergesslichen Dinners.« Sein amerikanischer Akzent ließ die kleine Ansprache klingen wie die Eröffnung eines Boxkampfes. Er machte eine ausladende Bewegung zur Servicetür, was den Eindruck noch verstärkte. Es fehlten lediglich die Nummerngirls. Oder zumindest der Gong zur ersten Runde. »We proudly present: the cake!«
Die Schwingtür öffnete sich, und unter Ahs und Ohs von allen Seiten schoben zwei Kellner die Torte in den Saal. Wunderkerzen wurden planmäßig entzündet, und ein kleiner Applaus brandete auf, als Joe meine Mutter galant zum Aufstehen aufforderte und sie zu dem Meisterwerk aus Marzipan und Buttercreme führte. Es war filmreif. Perfekt. So perfekt, dass ich mir wünschte, auch irgendwann einen Amerikaner zu heiraten mit angeborenem Sinn für Inszenierung. Ich klatschte mir die Hände wund und schob den Gedanken beiseite, ich hatte ja Richard. Der war auch nicht schlecht. Auch wenn er unpassenderweise just in diesem Moment lieber sein Weinglas in einem Zug leerte und sich großzügig nachschenkte, anstatt wie alle anderen hingerissen und gerührt zu sein. Er bemerkte meinen Blick und zwinkerte mir zu, als wäre nichts. Nein, Richard war kein Amerikaner. Und wenn er einer gewesen wäre, dann eine deutlich andere Kategorie als Robert-Redford-Joe. Ich seufzte leise.
Max wand sich auf Bettys Schoß, streckte einen kleinen, feuchten Zeigefinger Richtung Torte aus und schrie wiederholt »Da! Dadadadada!«. Ich hatte schon Angst, dass er uns damit alle verraten würde, aber meine Mutter und Joe schnitten glücklich und gemeinsam die trotz allem enorme Torte an, und wenn ihnen eine Unregelmäßigkeit aufgefallen war, so ließen sie sich ihre Irritation zumindest nicht anmerken. Ein Kellner kam ihnen zu Hilfe, schnitt und verteilte Tortenstücke auf Teller, die sich die Gäste bei dem Brautpaar abholten und bei dieser Gelegenheit mal wieder Komplimente und Glückwünsche loswurden. Als hätte es davon an diesem Tag nicht bereits genug für ein Leben gegeben.
Ich drückte mich so lange wie möglich davor, mir mein Stück vom Kuchen abzuholen. Wenn man es genau nahm, hatte ich ja bereits mehr bekommen, als mir zustand. Aber meine Mutter entdeckte mich im Gewimmel, rief meinen Namen und winkte mich zu sich. Und gegen den Willen der Braut kann und darf sich niemand wehren.
»Daphne!« Sie nahm mich in die Arme und drückte mir einen Kuss mit Weißwein-Aroma auf die Wange. »Mein Kind!«
»Ja, das bin ich. Dein Kind.« Ich lachte nervös und versuchte, in ihrem oder Joes Gesicht zu lesen, ob sie bezüglich der Torte etwas bemerkt hatten. Aber Joe war gerade damit beschäftigt, einer sehr blonden Frau mit sehr glattem Gesicht zuzuhören, die mit affektierter, sich überschlagender Stimme aufzählte, was an diesem Tag alles »amazing« gewesen war. Und meine Mutter hatte offensichtlich Schwierigkeiten damit, geradeaus zu gucken. Nichtsdestotrotz erkannte sie Richard, der sich zu mir gesellt hatte.
»Richard!« Sie umarmte und küsste auch ihn. »Mein Schwiegersohn!«
Richard lachte.
Ich nicht. Ich war stocksteif. »Na, nicht ganz, erst müsste man ja heir…«
Meine Mutter legte jedem von uns eine Hand auf die Wange und drückte unsere Köpfe aneinander. Sie hatte den melancholischen Tonfall einer Angetrunkenen. »Lasst mich nicht zu lange warten, hört ihr? Ich kann es kaum erwarten, meine Daphne als Braut zu sehen.«
»Exactly!«, schaltete sich Joe ein, der die Blondine inzwischen losgeworden war. »When are you going to propose, buddy?«
Ich zwang mich mit Mühe zu einem Lächeln. Irgendwie kam es mir nicht richtig vor, übers Heiraten zu reden, wenn die Dinge zwischen mir und Richard gerade alles andere als rund liefen. Wovon weder meine Mutter noch Joe wussten, aber trotzdem … Und dann zog mich Richard plötzlich an sich, drückte mir demonstrativ einen Kuss auf den Mund und machte meine entrückt dreinblickende Mutter sehr glücklich, als er Joe einen Klaps auf die bald schwiegerväterliche Schulter gab und sagte: »Soon. Soon enough.«
2
Der Teil, in dem aus zwei drei werden
BETTYS MIXTAPE
The Specials – You’re Wondering Now
Ich lag im Bett und brütete. Es war fast fünf Uhr morgens. Mein Kopf dröhnte vom Alkohol und der lauten Musik, von meinen Pflichten
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