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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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auftreiben können. Erschöpft strich ich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und gab mich geschlagen. »Okay. Dann machen wir es so.«
    »Und wohin damit?« Richard hatte bereits das Jackett ausgezogen und war dabei, die Ärmel seines Hemds hochzukrempeln. Ein Mann eben. Bereit zu tun, was getan werden musste.
    »Ich bin mit Mos Auto da«, erklärte Betty. »Wir können die Torte erst mal im Kofferraum lagern.«
    »Und dann?« Die Frage bezog sich sowohl auf die Torte als auch auf den Moment, in dem meiner Mutter auffallen würde, dass ein Stockwerk fehlte. Vielleicht sollte ich stümperhaft einen orientalischen Fächertanz aufführen, um sie abzulenken. Wie in einem alten Agentenfilm.
    »Und dann?« Mit einem leisen Ächzen hob Betty Max vom Boden hoch und setzte ihn sich auf die Hüfte. »Essen wir das Biest auf. Oder verteilen es an bedürftige Menschen. Da draußen gibt es so viele Leute, die nichts zu essen haben, und wir stehen hier mit einer vierstöckigen Marzipantorte. Das ist doch der Gipfel der Dekadenz. Voll peinlich.«
    Sie schaffte es wirklich, dass ich mich schämte, sie hatte dieses Talent.
    »Und wie machen wir’s nun?«, fragte Richard.
    Irgendwie. Mit Biegen und Brechen.
    Joe hielt eine wirklich charmante Rede und währenddessen ununterbrochen die Hand meiner Mutter, was ich übertrieben und reizend zugleich fand. Das Essen war köstlich, ein Drei-Gänge-Menü, eigentlich vier Gänge, wobei der vierte und letzte das Dessert sein würde, die Torte. Ängstlich behielt ich die Schwingtür zum Küchenbereich im Auge, durch die das gute Stück zum großen Finale hereingebracht werden würde. Alle Gäste hatten Wunderkerzen neben ihren Tellern, die sie entzünden sollten, wenn das Meisterwerk aus Zucker und Sahne in den Festsaal geschoben wurde. Ich stellte mir das entgeisterte Gesicht meiner Mutter im flackernden Schein der kleinen Feuerwerke vor. Es würde schrecklich werden.
    Hektisch schob ich mir noch ein Stück von dem butterzarten Rinderfilet in den Mund, meine Henkersmahlzeit. Sie würde mich enterben. Schlimmer: Sie würde mich an den Singletisch verbannen.
    »Musst du mal, oder was?«, fragte Betty von der Seite. Sie durfte, wie Richard auch, mit mir am Familientisch sitzen. Sie auch einzuladen, war ein netter Zug von meiner Mutter gewesen.
    »Nein, wieso?«, flüsterte ich. Keine Ahnung, warum ich flüsterte. Weil wir Komplizen waren. Deswegen wahrscheinlich.
    »Weil du auf deinem Stuhl herumrutschst, als ob du es nicht mehr lange halten kannst.«
    »Ich bin nervös.«
    »Wegen der Torte?«
    »Natürlich wegen der Torte«, antwortete ich leicht gereizt. Was sollte denn bitte sonst das Problem sein? Dass die Prinzessbohnen nicht alle auf gleiche Länge geschnitten waren? Wobei … Wie ging es meiner Mutter wohl damit?
    »Entspann dich, Schätzelein. Alles unter Kontrolle.« Betty nickte an mir vorbei zu Richard hin, der links von mir und über Eck neben meiner Mutter saß. »Dein Freund regelt das schon.«
    Ich warf ihm einen verstohlenen Blick zu und registrierte, dass er das Weißweinglas der Braut großzügig befüllte. »Ihr macht sie betrunken? Habt ihr sie noch alle?!« Dieses Mal flüsterte ich aus gutem Grund.
    »Wir machen sie nicht betrunken, wir helfen ihr nur dabei, ein bisschen Spaß an der Sache zu haben. Du hast doch selbst gesagt, ihre Sinne sind extrem geschärft … Wie soll sie denn so die Party genießen?« Ich wollte etwas erwidern, aber Betty fuhr mir über den offenen Mund. »Das ist schließlich ihre zweite Hochzeit. Da kann sie die Dinge ruhig mal ein bisschen lockerer angehen. Außerdem ist der Wein im Preis für das alles hier inbegriffen, wusstest du das?«
    »Ja«, antwortete ich tonlos. »Ich hab das alles hier organisiert, wie du weißt.«
    Sie genehmigte sich einen großzügigen Schluck aus ihrem Glas – »Einfach fantastisch!« – und ich mir dann auch. Bei dieser Veranstaltung handelte es sich schließlich um eine Hochzeit und keine Verkehrskontrolle.
    Betty schluckte und unterdrückte ein Rülpsen. »Ich hatte übrigens gerade einen großartigen Einfall.«
    »Noch einen?«
    »Freut mich, dass du inzwischen, was das Tortenstück betrifft, mit mir auf einer Linie bist.«
    »Das war kein Stück, das war ein Stockwerk. Und das war sarkastisch gemeint.«
    »Sarkasmus ist schlecht für den Täng, Schätzelein.« Sie wischte ganz nebenbei ihrem Sohn die Bratensoße aus dem Gesicht und fuhr unbeirrt fort. »So eine Torte ist der ideale Proviant für unsere Reise.

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