Imagon
anhaltend‹. Sekundenlang, so gab er zu Protokoll, sei die kleine Stadt Scoresby, in der er Streife fuhr, grell erleuchtet gewesen.
Eine weitere Augenzeugin, die rund fünfzig Kilometer weiter nördlich in einem 120-Seelen-Dorf namens Asqenaesset lebt, berichtete, sie sei von einem lauten Knall geweckt worden. Im selben Augenblick, als sie ans Fenster stürzte, sei auch schon ein heftiger Sturm über ihr Haus hinweggefegt. Ihre Wäsche, so die Zeugin, habe draußen auf der Leine waagerecht im Wind geflattert. Der Orkan wütete nur wenige Minuten – dann endete der Spuk ebenso plötzlich, wie er begonnen hatte.
Das waren nur drei der über siebzig von der astronomischen Gesellschaft in Kopenhagen aufgenommenen Telefonprotokolle über das Ereignis, das bald darauf als der Asqenaesset-Meteorit durch die Medienwelt geistern sollte. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Informationen zusammen, die anscheinend mit dem Ereignis zu tun hatten. Immer deutlicher zeichnete sich das Bild eines einzigartigen Impaktes ab.
Weltweit haben etwa 140 größere Einschlagstellen die Jahrmillionen der Erosion, die Zerstörung durch Wind, Regen, Hitze und die Folgen von Erdbeben überstanden; der Wolfe Creek, das Great Bluff oder die Henbury-Krater in Australien, der Rote Kamm in Namibia, die Sikhote Alin-Krater in Ostsibirien oder der Barringer-Krater in Arizona, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Einige Einschlagstellen sind so gewaltig, dass sie nur aus dem Weltraum als solche erkannt werden können, wie etwa der Manicouagan- und der Sudbury-Krater in Kanada oder das Nördlinger Ries in Deutschland.
Am 17. Februar erklärte Holger Pedersen von der Universität Kopenhagen erstmals öffentlich, dass am 11. Februar ein außergewöhnlich großer Meteorit auf die Erde gestürzt sei. Irgendwo in der Nähe von Asqenaesset, so Pedersen, sei das Objekt vermutlich runtergekommen und habe dabei eine mächtige Druckwelle ausgesandt. Der Krater müsste gewaltig sein, mindestens ein K-III, was fünf bis zehn Kilometer Durchmesser bedeuten würde. Eine derart markante geologische Anomalie hätte also leicht zu finden sein müssen.
Obwohl die Zeugenaussagen im Wesentlichen übereinstimmten, tauchten zugleich die ersten Widersprüche auf: Beobachter sahen vor allem das intensive Licht aus Entfernungen bis zu sechshundert Kilometern, oft auch den Blitz, ohne aber Explosionslärm zu vernehmen. Menschen, die weniger als einhundert Kilometer entfernt waren, vernahmen nach einigen Sekunden plötzlicher Tageshelle eine Explosion, der minutenlange orkanartige Böen folgten. Aber es wurde nur selten eine Druckwelle oder ein Beben bemerkt. Also beauftragte man Professor DeFries, in Zusammenarbeit mit Dr. Jorgensen und Professor Pedersen nach verwertbaren Spuren zu fahnden, die der Brocken aus dem All hinterlassen hat. DeFries leitet mit Jorgensen die südlich von Asqenaesset gelegene Geostation in Scoresby.
Die Forscher sprachen mit grönländischen Fischern und Taxifahrern, werteten Satellitenbilder aus und analysierten seismische Aufzeichnungen von Erdbebenstationen. Wichtigstes Beweisstück ist ein Videofilm aus Asqenaesset, auf dem zu sehen ist, wie der Lichtblitz aufleuchtet und wieder abklingt. Dass er gefilmt wurde, grenzt an ein Wunder. Nachdem Unbekannte mehrmals nachts seinen Wagen beschädigt hatten, war Chris Hedmann, der für Radio Grönland arbeitet, der Kragen geplatzt, und er brachte an seinem Haus in Asqenaesset eine Überwachungskamera an. Als er von der morgendlichen Lichterscheinung hörte, spulte er sein Videoband zurück und entdeckte darauf die entscheidenden Sekunden jener Nacht.« Mertens überließ den Bildschirm Broberg.
Die folgende Filmsequenz war mir wohlbekannt und eine kleine Sensation: Erst war auf dem linken Kotflügel von Hedmanns Wagen, gut sichtbar nahe einer Straßenlaterne geparkt, nur ein schwacher Lichtreflex zu erkennen. Dann aber flammte hinter den Bergen ein Blitz auf, der das gesamte Dorf mit gleißend hellem Licht überflutete – ein Spektakel, das in der Tat aussah, als sei nahe Asqenaesset eine Atombombe explodiert. Ein paar Atemzüge später erlosch der gigantische Lichtball wieder.
»Die Auswertung des Videobandes und der Zeugenaussagen ermöglichte es unseren Experten, die Einschlagskraft und den Eintrittswinkel des Objekts ziemlich exakt zu berechnen«, fuhr Mertens fort, als wieder die Grönlandkarte auf dem Bildschirm leuchtete. »Es muss nahezu senkrecht in die Lufthülle eingetreten sein, denn es
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