Immer für dich da (German Edition)
Mutter sie im Stich gelassen hatte, und begann sofort zu verdrängen, dass es sie überhaupt gab.
Kapitel 5
K ate konnte lange nicht einschlafen. Schließlich stand sie auf.
Unten fand sie alles, was sie brauchte: eine kleine Marienstatue, eine Votivkerze, Streichhölzer und den alten Rosenkranz ihrer Großmutter. Damit ging sie zurück in ihr Zimmer, errichtete sich einen kleinen Altar auf ihrer Kommode und zündete eine Kerze an.
Sie faltete die Hände, senkte den Kopf und betete: »Himmlischer Vater. Bitte beschütze Tully Hart und hilf ihr durch diese schwere Zeit. Mach auch ihre Mutter bitte wieder gesund. Ich weiß, du kannst ihnen helfen. Amen.« Dann sprach sie ein paar Ave-Marias und ging zurück ins Bett.
Trotzdem warf sie sich die ganze Nacht unruhig hin und her und träumte von dem Treffen mit Tully am nächsten Morgen. Was würde wohl passieren? Sollte sie Tully in der Schule ansprechen oder sie nur anlächeln? Oder sollte sie so tun, als wäre das alles nicht passiert? Es gab ungeschriebene Gesetze zum Umgang beliebter Schüler mit unbeliebten, aber die kannten nur Mädchen wie Tully. Kate wusste lediglich, dass sie keinen Fehler machen und sich nicht in eine peinliche Lage bringen wollte. Sie wusste auch, dass beliebte Mädchen manchmal heimlich mit unbeliebten befreundet waren, zum Beispiel wenn deren Eltern befreundet waren. Die konnten sich außerhalb der Schule dann grüßen. Vielleicht würde es so zwischen Tully und ihr laufen.
Schließlich gab sie alle Versuche einzuschlafen auf und stieg aus dem Bett. Sie zog ihren Bademantel an und ging nach unten. Im Wohnzimmer blickte ihr Dad von seiner Zeitung auf und lächelte sie an. »Einen wunderschönen guten Morgen, Katie Scarlett. Komm und umarm deinen Alten Herrn.«
Sie ließ sich auf seinen Schoß fallen und drückte die Wange an die kratzige Wolle seines Hemds.
Er strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie sah, wie müde er wirkte; er arbeitete hart, machte Doppelschichten bei Boeing, damit sie zusammen in den Urlaub fahren konnten. »Wie läuft’s in der Schule?«
Das fragte er immer. Früher, vor langer Zeit, hatte sie die Frage ernst genommen, gesagt: »Nicht so gut, Dad«, und dann auf eine Reaktion von ihm gewartet, einen Rat oder eine tröstende Bemerkung, aber so etwas kam nie. Er hatte nur gehört, was er hören wollte. Ihre Mom meinte, das läge daran, dass er so viele Stunden Arbeit hinter sich habe.
Kate hätte sich über seine Unaufmerksamkeit ärgern können, aber irgendwie liebte sie ihn deswegen nur noch mehr. Nie schrie er sie an oder ermahnte sie, besser aufzupassen. Nie sagte er, sie sei für ihr Glück verantwortlich. So was kam nur von ihrer Mom; ihr Dad liebte sie einfach immer so, wie sie war.
»Großartig«, antwortete sie und lächelte, um ihre Lüge glaubwürdiger klingen zu lassen.
»Wie auch sonst?« Er drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. »Schließlich bist du das hübscheste Mädchen der ganzen Stadt. Und deine Mom hat dich nach einer der größten literarischen Heldinnen aller Zeiten benannt.«
»Ja, Scarlett O’Hara und ich haben wirklich viel gemeinsam.«
»Du wirst schon sehen. Hast noch einiges vor dir, Missy.«
»Glaubst du, ich bin hübsch, wenn ich erwachsen werde?«
»Aber Katie. Du bist doch jetzt schon eine Schönheit.«
Solche Antworten nahm sie und barg sie in ihrem Innern wie Sorgenpüppchen. Hier und da, wenn sie sich für die Schule fertig machte, tastete sie nach ihnen und hielt sich daran fest.
Als sie endlich aufbruchbereit war, war das Haus leer. Der Mularkey-Schulbus war bereits losgefahren.
Sie war so nervös, dass sie zu früh an der Haltestelle erschien. Die Minuten dehnten sich endlos, doch als der Schulbus kam und stotternd neben ihr hielt, sah sie immer noch keine Spur von Tully.
Kate senkte den Kopf und setzte sich in die erste Reihe.
Den ganzen Morgen hielt sie Ausschau nach Tully, konnte sie aber nicht entdecken. In der Mittagspause ging sie an den beliebten Kindern vorbei, die sich an der Essensausgabe vordrängelten, und setzte sich dann an einen der Tische am hintersten Ende der Cafeteria. Die Schüler am anderen Ende lachten und plauderten, aber hier, im sozialen Sibirien, herrschte niederdrückende Stille. Wie die anderen Kinder um sie herum saß Kate einfach nur da und blickte kaum auf.
Das war eine Überlebenstechnik, die unbeliebte Kinder schnell lernten: Auf der Junior High war es wie im Dschungel von Vietnam. Am besten ging man in Deckung und
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