Immer wenn er mich berührte
dachte an den kleinen Sicherheitsschlüssel in ihrer Handtasche. Morgen ist Donnerstag. Morgen fahre ich mit der U-Bahn zum Nollendorfplatz. Morgen weiß ich, was mit meiner Ehe los ist, mit mir, mit ihm … Morgen weiß ich, ob ich mir ein Glück vorgegaukelt habe, das gar nicht mehr existiert hat.
Jürgen war ein geschickter Arrangeur für Festlichkeiten aller Art. Es machte ihm Spaß, eine Party zu geben, es machte ihm den gleichen Spaß, einen Tisch nur für sie beide zu dekorieren.
Janine beobachtete ihn, während er seinen Delikatessenkorb auspackte. Den Mann, in den sie sich vor fünf Jahren so schrecklich verliebt hatte, daß sie sich vom Fleck weg von ihm heiraten ließ. Viele Frauen beneideten sie um diesen Mann. Wer Jürgen Siebert kennenlernte, der war begeistert. Von seinem Charme. Seinem Witz. Seiner fröhlichen Art. Seinem jungenhaften Lachen.
Dazu sah er unverschämt gut aus. Im nächsten Jahr wurde er dreißig. Aber wer erriet das schon? Alle schätzten ihn viel jünger. Er war so ein Typ, der nicht älter wurde – schlank, groß, immer braungebrannt, strubblige schwarze Haare.
Janine ging in die Küche, gab Wasser in die Kristallvase und ordnete die Rosen. Fünf Stück, eine schöner als die andere, Symbole von fünf Jahren. In einer Zweizimmerwohnung in München hatten sie begonnen. Jürgen arbeitete damals in einer Werbeagentur, sie verdiente in einem Reisebüro noch ein bißchen dazu. Zwei Jahre später zogen sie nach Berlin. Heute hatten sie ein hübsches Haus in Mariendorf, die Putzfrau kam täglich, ein weißes Sportcoupé stand in der Garage – Jürgen Siebert war in jeder Hinsicht erfolgreich, auch im Beruf.
»Liebling, du darfst kommen«, hörte sie ihn rufen. Niemals vorher hatte Janine sich so elend gefühlt. Sie war nun mal keine Schauspielerin. Am liebsten wäre sie in die Nacht hinausgerannt, in den Regen, immer weiter fort, ohne zu denken, ohne an diesen Brief denken zu müssen.
Aber nein, sie mußte mit all ihren Zweifeln in das Wohnzimmer zurück. Sie mußte lächeln, so sein wie immer, fröhlich, glücklich, verliebt … noch ein bißchen mehr von alledem, denn schließlich war heute ihr Hochzeitstag.
Die Kerzen brannten schon, ein paar Scheite glühten im Kamin, roter Champagner perlte in den Gläsern. Sie biß sich auf die Lippen. Jürgen hatte einen schmalen, wunderschönen Platinring für sie gekauft. Und aus einem zweiten Päckchen kam noch ein traumhaftes Negligé zum Vorschein, rosarot, mit Spitzen und Schleifen.
»Du wirst zauberhaft darin aussehen«, schwärmte er und sah sie an, als gäbe es keine Frau auf der Welt außer ihr.
»Du verwöhnst mich«, sagte sie leise.
Er lachte, hob das Sektglas. »Ich habe mir vor fünf Jahren fest vorgenommen, dich zu verwöhnen.«
Sie schwieg. Krebse, Krabben, indische, dänische Salate, Schwarzwälder Bauernschinken, französischer Käse – alle ihre Lieblingsspeisen standen auf dem Tisch. Aber sie hatte Mühe, ein paar Bissen davon zu essen.
»Claudette hat geschrieben«, sagte sie schließlich, froh darüber, irgendeinen Gesprächsstoff gefunden zu haben. »Sie lädt uns ein. Wir sollen Silvester nach Marokko kommen.«
»Kein schlechter Gedanke«, meinte Jürgen. »Aber dieses Jahr wird es nicht klappen … vielleicht im nächsten Jahr. Was schreibt sie denn von ihrem Scheich? Wie viele Nebenfrauen hat er?«
»Anscheinend keine«, lächelte Janine mühsam. Sie dachte daran, daß alle mit einer Katastrophe rechneten, als Claudette den jungen Marokkaner mit dem unaussprechlichen Namen heiratete. Aber sie war glücklich geworden mit ihm.
Claudette war ihre einzige Freundin. In Paris hatten sie beide als Hostessen gearbeitet und in einem Zimmer gewohnt.
Der Champagner begann Janine in den Kopf zu steigen. Sie hatte zu schnell und zu viel getrunken. Warum bloß? Sie wußte doch, daß sie nicht viel vertrug … Im flackernden Schein der Kerzen beobachtete sie Jürgens Gesicht, all das, was sie liebte, die drei Sommersprossen auf der Nase, die winzige Narbe über der linken Augenbraue, die Art, wie er sich eine Zigarette anzündete und Rauchkringel über den Tisch zu ihr hinüberblies.
Wenn nun überhaupt nichts dran war an diesem Brief, dachte Janine plötzlich. Wenn es nur eine schmutzige, anonyme Verdächtigung war? Wenn ihnen nun jemand das Glück neidete?
Jeden Dienstag und Donnerstag, mittags von zwölf bis zwei Uhr … könnte er so was wirklich tun? Glück war doch eine viel zu ernste Sache, als daß er es so
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