Immer wieder du: Roman (German Edition)
warum sie selbst gekocht hat. Dabei hatte ich gedacht, sie hätte ausnahmsweise mal etwas für mich gemacht.
»Lily arbeitet in der Verlagsbranche«, sagt Mum zu Antonio und führt mich an den Tisch.
Nein. Das schaffe ich nicht. Zu Smalltalk bin ich heute Abend nicht in der Lage.
»Ach ja?«, fragt Antonio interessiert, als er sich hinsetzt. Plötzlich werde ich stur wie ein Esel. Meine Mum gibt mir einen kleinen Schubs, aber meine Füße wollen sich nicht bewegen.
»Lily, setz dich«, drängt sie mich strahlend.
»Nein.«
»Lily!«, mahnt sie.
»Mir ist der Appetit vergangen.«
Nervös lacht sie auf und schaut Antonio an. »Ihr geht es nicht so gut.«
Und damit bin ich draußen. Ich gehe in mein Zimmer, drücke die Tür fest zu und wünsche mir von ganzem Herzen, sie hätte ein Schloss. Ich lösche das Licht, lege mich aufs Bett und bedecke mein Gesicht mit den Armen. Ich bin fast zu müde, um zu denken.
Gut zwanzig Minuten später kommt meine Mum herein, um nach mir zu sehen.
»Komm bitte raus, Liebling.«
Ich mache mir nicht die Mühe zu antworten.
»Soll ich dir etwas zu essen bringen?«
Schweigen.
Danach lässt sie mich in Ruhe.
Ich schlage die Augen auf und starre in der Dunkelheit an die Decke. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag: Ben. Ich will mit Ben sprechen.
Richard kennt meine Mum. Er hat sie bei verschiedenen Gelegenheiten getroffen. Ben hat sie erst einmal gesehen, aber aus irgendeinem Grund möchte ich ihm von ihrem Verhalten heute Abend berichten. Wie aus heiterem Himmel fällt mir der Karton in meinem Schrank ein. Ich springe auf das Bett und ziehe ihn herunter, durchwühle ihn wie eine Verrückte, bis ich Bens hellblaues Hemd ganz unten mehr spüre denn sehe. Ich möchte mit ihm sprechen. Ich möchte ihn sehen. Ich möchte, dass er mich in den Armen hält und mir sagt, dass alles gut wird. Ich will ihn anrufen. Wo ist mein Handy?
Ich suche neben dem Bett nach meiner Tasche. Sie ist nicht da. Mir wird sofort klar, dass ich sie im Wohnzimmer gelassen habe, und ich zögere bei dem Gedanken, dahin zu gehen und die kleine Kuschelstunde meiner Mum mit Antonio zu stören.
Dann denke ich an Richard. An unser Haus. Unsere Freunde. Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon bereit bin, alles aufzugeben. Ich sinke wieder auf das Bett und drücke Bens Hemd fest an mich. So trifft meine Mum mich anderthalb Stunden später an.
»Antonio ist nach Hause gegangen«, sagt sie kurz angebunden. Wenn sie erwartet, dass ich mich entschuldige, ist sie von allen guten Geistern verlassen.
»Bei der Stimmung hier wollte er nicht länger bleiben.«
»WAS VERDAMMT NOCHMAL IST EIGENTLICH LOS MIT DIR?« Bin ich das, die so schreit? »WAS BILDEST DU DIR EIN? UND DU SOLLST MEINE MUTTER SEIN! RAUS HIER! RAUS HIER! RAUS!!!«
Blinde Wut erfüllt mich, ich fange an zu hyperventilieren. Beim Blick in das erschrockene Gesicht meiner Mutter wird mir bewusst, wie dämonisch ich aussehen muss. Denn sie ist ausnahmsweise mal vollkommen sprachlos.
»RAUS HIER!«, schreie ich noch einmal, und als sie keine Anstalten macht, springe ich vom Bett und schiebe sie zur Tür. »RAUS HIER!« Ich schlage ihr die Tür vor der Nase zu, falle wieder zurück aufs Bett und stoße ein markerschütterndes Heulen aus, wie eine Furie. Dann muss ich weinen und schließlich komme ich wieder zu mir. Am Ende erfüllt mich eine überwältigende Traurigkeit. Meine Mutter hält Abstand, obwohl mein Schluchzen in der ganzen Wohnung zu hören sein muss.
Als ich nach langer Zeit endlich zur Ruhe komme, versucht sie es noch einmal, und diesmal sagt keine von uns beiden etwas. Sie setzt sich aufs Bett und streicht mir übers Haar, während mir Tränen über die Wangen laufen und ins Kissen tropfen.
»Es tut mir leid«, flüstert sie schließlich. »Es tut mir so leid.«
Ich halte Bens Hemd umklammert und stelle fest, dass sie es neugierig betrachtet, aber sie ist klug genug, es bei ihrer Entschuldigung bewenden zu lassen. Ich schlafe ein, noch bevor sie das Zimmer verlässt.
Kapitel 28
Es kostet mich übermenschliche Kraft, aber irgendwie schaffe ich es, die Woche bei Marbles zu überstehen. Kurz vor Schluss verspricht Jonathan mir, mich über die Stelle der Redaktionsassistentin auf dem Laufenden zu halten. Die Vorstellung, dass ich vielleicht endlich eine Festanstellung bekomme, ist eine Erleichterung – aber im Moment fällt es mir schwer, mich für irgendetwas zu begeistern.
Mit Richard habe ich nicht mehr gesprochen, seit er am
Weitere Kostenlose Bücher