Immer wieder du: Roman (German Edition)
»Du kannst deine eigene Entscheidung treffen. Und ich hoffe, dass du zur Vernunft kommst und gefälligst erkennst, dass die Kirschen in Nachbars Garten nicht automatisch die süßeren sind.«
Kapitel 27
Richard geht an dem Abend wieder zu Nathan und Lucy, weil es ihm zu weh tut, mit mir zusammen zu sein. Am nächsten Tag will ich gleich nach der Arbeit zu Mum fahren. Richard hat mich gebeten, ihn zwei Tage lang nicht anzurufen. Ich sage Mum, dass sie alles erfahren wird, sobald ich bei ihr bin, denn ich wolle nicht am Telefon darüber sprechen. Ich weiß noch nicht, ob ich ihr die volle Wahrheit erzählen werde.
Sie ist bei der Arbeit, als ich am nächsten Abend eintreffe. Ich habe noch meinen alten Schlüssel aus der Zeit, als ich bei ihr gewohnt habe. Mein Schlafzimmer ist kalt, feucht und dunkel. Ich habe seit Tagen kaum etwas gegessen und bringe es nicht fertig, mir jetzt etwas zu machen, nicht mal wenn etwas im Kühlschrank wäre. Doch wie ich meine Mum kenne, wird darin gähnende Leere herrschen.
Sie kommt um kurz nach elf nach Hause und findet mich dösend in voller Montur auf meinem Bett. Müde schlage ich die Augen auf und sehe sie vor mir stehen, noch immer in ihrer Montur als Oberkellnerin: schwarze Hose und eine eng anliegende schwarze Bluse. Sie macht einen erschöpften Eindruck.
»Soll ich dir irgendetwas holen?«, fragt sie.
Traurig schüttele ich den Kopf.
»Eine Tasse Tee?«
»Nein. Will nur schlafen.«
»Willst du dich bettfertig machen?«, versucht sie es noch einmal.
»Nein«, murmele ich.
»Okay, Schätzchen.« Leise zieht sie die Tür hinter sich zu.
Am Morgen schläft sie tief und fest. Mir ist eh nicht nach reden zumute, daher schminke ich mein verheultes Gesicht und die rot umränderten Augen, so gut es geht, und fahre zur Arbeit. Es dauert länger, als ich dachte, daher komme ich ein paar Minuten zu spät, obwohl ich rechtzeitig aufgebrochen bin. Ich eile am Empfang vorbei und gebe Nicola und Mel zu verstehen, dass ich später mit ihnen rede. Sobald ich an meinem Schreibtisch sitze, erhalte ich eine E-Mail.
Mittagessen? , schreibt Mel. Mir kam das Gerücht zu Ohren, dass es heute Kartoffel-Lauch-Suppe gibt.
Ich bringe ein ironisches Lächeln zustande und schicke ihr eine Zusage.
Da Nicola den Empfang besetzen muss, gehen nur Mel und ich essen. Wir schlendern zur Suppenküche und holen uns Gerichte zum Mitnehmen, dann begeben wir uns zu einem nahegelegenen Platz, wo ich Mel auf den neuesten Stand bringe.
»Hast du Ben gesehen?«, fragt sie.
»Nein. Richard will das nicht.«
»Und du gehorchst ihm?«
»Ja. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«
»Hoho! Du bist eine bravere Frau als ich.«
»Das soll wohl ein Witz sein, was? Ich komme mir vor wie der schlechteste Mensch auf Erden.«
»Warum?«
»Was soll das heißen, warum?« Ich lache verächtlich.
»Du hast dich verliebt, Lily. Dagegen kann man nichts machen.«
Ich halte einen Moment inne und denke darüber nach, bevor mir klar wird, dass ich mit dieser Einstellung auch nicht aus dem Schneider bin. »Ja, aber ich hätte Richard von Anfang an von Ben erzählen müssen. Und umgekehrt. Ich habe beiden etwas vorgemacht.«
»Ich glaube, du hast es so gut gemacht, wie du eben konntest«, sagt Mel ernst. »Wie du schon sagtest, was wäre denn gewesen, wenn du Ben sofort eine Bedeutung gegeben hättest, die er vielleicht gar nicht hat? Du hättest einen Strich unter die ganze Sache ziehen und weitermachen können, um ein zufriedenes Leben mit Richard zu führen. Und Richard wäre auch nicht klüger gewesen, aber verdammt viel glücklicher. Manchmal ist Ehrlichkeit nicht die beste Lösung.«
»Aber so, wie sich alles entwickelt hat – es ist so ein Schlamassel. Egal, genug von mir. Was gibt es Neues von Mr Spitz?«
Sie legt eine Hand auf meinen Arm und lächelt mich mitfühlend an, bevor sie mir erlaubt, das Thema zu wechseln. »Es wird schon wieder«, verspricht sie. »Alles wird sich zum Besten wenden.«
Als ich am Abend zurückkomme, ist meine Mutter zu Hause, und trotz unserer oft unbeständigen Beziehung bin ich froh, nicht wieder eine dunkle Wohnung zu betreten.
»Hallo«, begrüßt sie mich aus der Küche.
»Hi«, erwidere ich. »Ich war mir nicht sicher, ob du heute Abend arbeiten musst.«
»Ich habe die Mittagsschicht übernommen«, erwidert sie. »Und dann bin ich zurückgekommen, um dir ein Abendessen zu kochen.«
»Im Ernst? Was gibt es denn?«
Sie strahlt. »Huhn in Weißwein-Sahne-Soße mit
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