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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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Gesicht, und er fand, dies sei eine gute Art, zu sterben – besser als jede, die er sich vorgestellt hatte oder die er verdiente. Vielleicht brachte er noch ein Lächeln zustande, aber er war nicht sicher. Er trank einen letzten, wärmenden Schluck von diesem glorreichen Elixier, und dann wurde alles schwarz, und jedes Empfinden wich aus seinem verwüsteten Körper.

73
    Lange Zeit saß Mia regungslos neben Corbens Leiche. Auf ihrer Haut kribbelte ein Frösteln, das nicht aufhören wollte. Sie starrte hinaus in die Dunkelheit und vermied es, die Leichen von Menschen und Tieren anzusehen, die ringsum lagen.
    Irgendwann merkte sie, dass der Ast, den sie immer noch umklammerte, heruntergebrannt war. Sie stand auf und stapfte zurück zum Feuer, ohne sich nach weiteren Wölfen umzusehen. Sie war müde bis auf die Knochen und zu ausgelaugt, um sich noch darum zu kümmern.
    Aber es blieb still.
    Mit gefühllosen Händen legte sie Holz nach, ließ sie sich gegen den Baum sinken, an dem Corben gelehnt hatte, und schlug die Hände vor das Gesicht.
    Der Morgen war noch weit. Sie hatte alles Zeitgefühl verloren, aber sie wusste, dass sie eine lange Nacht vor sich hatte. Egal. Sie würde nirgends hingehen. Sie würde hierbleiben und sich nicht von der Stelle rühren, bis jemand – oder etwas – käme und sie holte.
    Ein einsames, fernes Heulen drang durch die Stille.
    Es blieb ohne Antwort.
    Tiefe Trauer lag in diesem Heulen, als beklage das Tier den großen Verlust des Lebens, den Monsun des Todes, der über den kargen Boden der Berge herabgeregnet war.
    Und dann sah sie sie.
    Ferne Lichter, flackernd zwischen den Bäumen, eine Karawane, die langsam auf sie zukam.
    Sie versuchte zu erkennen, wer oder was sie waren, aber sie waren noch zu weit entfernt. Die Gruppe verschwand hinter einem Höhenkamm und tauchte ein paar Minuten später wieder auf. In stiller Prozession kamen Sie näher. Es waren mehrere Männer zu Pferde, ein halbes Dutzend oder mehr, und sie hielten flackernde Fackeln und Öllaternen in den Händen.
    Sie kannte keinen von ihnen. Vermutlich waren sie nicht aus Nerva Zhori. Aber dann erkannte sie das vertraute Gesicht des mochtar , der vom Pferd stieg und müde lächelte.
    Er brachte eine Wolldecke und legte sie ihr um die Schultern. Dann führte er sie zu einem wartenden Pferd. Die andern beobachteten jeden ihrer Schritte in respektvollem, aber neugierigem Schweigen.

74
    PHILADELPHIA – DEZEMBER 1783
    Ein Feuer knisterte im Kamin des kleinen, aber behaglichen Zimmers. Thérésia schaute aus dem Fenster. Zarte Schneeschleier puderten die Bäume, und die Flocken schwebten funkelnd im weichen Mondlicht herab.
    Sie wusste, er würde nicht zurückkommen.
    Sie hatte es schon am Kai in Lissabon gewusst, vor zwanzig Jahren.
    War es wirklich so lange her?
    Ein bittersüßes Lächeln legte sich über ihr Gesicht, als die Erinnerungen erwachten.
    Thérésia hatte Sebastian nicht gehen lassen wollen, aber sie wusste, dass es sein musste. Die Jahre in Lissabon waren die glücklichsten und erfülltesten ihres Lebens gewesen. Sie hatte mit ihm gelebt, war mit ihm gereist und hatte mit ihm gelernt, und natürlich hatten sie ihren Sohn gemeinsam aufgezogen. Sie hatte sich gewünscht, es möge nie zu Ende gehen. Verzweifelt hatte sie sich danach gesehnt, dass Sebastian blieb oder sie und Miguel mitnahm, aber ihr war klar, dass das unmöglich war. Er musste seiner Bestimmung folgen, und sie musste ihren Sohn beschützen.
    Also hatte er sie über das Meer geschickt. Es hatte ihr Frieden gebracht, wie er es versprochen hatte. Niemand hatte sie oder Miguel – der jetzt Michael hieß – belästigt, seit sie sich in Philadelphia niedergelassen hatten. Die Stadt der Bruderliebe hatte ihrem Namen Ehre gemacht. Die letzten Jahre waren turbulent gewesen, wie Revolutionen es meistens sind, aber gottlob hatten sie und Michael den Aufruhr überlebt, und jetzt, da der Pariser Vertrag unterzeichnet war, sah es aus, als läge das Schlimmste hinter ihnen.
    Dennoch plagte sie die Frage, wie lange sie noch leben würde, um diesen Frieden zu genießen. Die kleinen, harten Knoten, die unter ihren Achseln und in ihrer linken Brust gewachsen waren, beunruhigten sie. In den schweren Zeiten des Konflikts war sie stolz auf ihre Unabhängigkeit und ihre Gesundheit gewesen, und sie war sicher so rüstig, wie man es bei einer sechzigjährigen Witwe – diese kleine Lüge war bei ihrer Ankunft in der neuen Stadt überall bereitwillig akzeptiert worden

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