Immortals after Dark 02 - Kuss der Finsternis
selbst wenn sie still gewesen wären, hätte er ihren Zorn über seine Präsenz nicht ignorieren können, da Walküren Blitze verursachten, sobald sie starke Emotionen verspürten, und in diesem Moment wirkte der Hof wie ein Minenfeld einschlagender Blitze.
Die zahlreichen Kupferstäbe, die überall auf dem Grundstück aufgestellt waren, wurden mit einem solchen Bombardement nicht fertig. Die uralten Eichen, die das Herrenhaus umstanden, wurden immer wieder von ganzen Bündeln von Blitzen getroffen, bis Rauch von ihnen aufstieg, dicker noch als der Nebel.
Ob wohl noch irgendetwas anderes so seltsam roch wie brennendes Moos?
Er wandte den Kopf gen Himmel, konnte jedoch die Sterne über ihm nicht sehen. Der Ausblick wurde durch die Geister verdeckt, die von den Walküren dafür bezahlt wurden, ihre Kreise um das Herrenhaus zu ziehen und es zu bewachen. Die gespenstischen Unholde heulten ihre Belustigung lauthals hinaus.
Nikolai hatte nicht das Geringste für sie übrig. Vor einem Monat, als er versucht hatte, sich nach Val Hall hineinzutranslozieren, um Myst zurückzugewinnen, hatten sie ihn sich geschnappt und so weit fortgeschleudert, dass er auf dem Gebiet der benachbarten Gemeinde gelandet war.
Bei den Geistern, den Blitzen, dem Kreischen und dem Rauch war es kein Wunder, dass andere Geschöpfe der Mythenwelt Val Hall fast ebenso fürchteten, wie sie die Walküren selbst fürchteten. Die Tatsache, dass seine wunderschöne Frau diesem Ort des Wahnsinns entstammte, versetzte ihn immer wieder in Erstaunen.
An diesem Abend hatte sie ihn beschwatzt, sie hierherzutranslozieren, um Nïx, die älteste der Walküren und eine Seherin, zu bitten, ihnen dabei zu helfen, seine beiden jüngeren Brüder zu finden. Insgeheim hielt er das Ganze für vergebliche Mühe. Nïx, oder auch die komplett durchgeknallte Nïx, wie der Koven sie nannte, war nur selten bei klarem Verstand und hatte einen geradezu teuflischen Sinn für Humor. Und Myst war bereits gewarnt worden, dass Nïx heute Abend „in einer Scheißlaune“ sei.
Genau genommen waren alle Walküren, die er kennengelernt hatte … exzentrisch. Nicht einmal den Gedankengängen seiner Frau Myst konnte er immer folgen. Und wenn Nïx in Bezug auf Walkürenwahnsinn ihresgleichen sucht e …
Aber er musste es wenigstens versuchen. Er konnte die Ungewissheit, ob Sebastian und Conrad noch am Leben waren, einfach nicht mehr ertragen. Als er seine beiden jüngsten Brüder zum letzten Mal gesehen hatte, verließen die beiden frisch gewandelten Vampire gerade Blachmount. Sie waren geschwächt und nach der Wandlung dem Wahnsinn nahe gewesen. Auch wenn inzwischen dreihundert Jahre vergangen waren, machte sich Nikolai doch keine Illusionen darüber, dass sie ihm das Verbrechen, das er an ihnen begangen hatte, inzwischen vergeben hatten.
Myst und er erlangten auf die einzig mögliche Art und Weise Zutritt zum Herrenhaus: Sie bot ihnen eine Haarsträhne als Wegezoll an, und einer der Geister schoss herab und schnappte sie sich. Im Austausch für den zuverlässigen Schutz der Geister boten die Walküren ihr Haar dar, das die Geister zu einem Zopf flochten. Wenn die Flechte erst einmal eine gewisse Länge erreicht hatte, waren sie imstande, für eine begrenzte Zeit sämtlichen lebenden Walküren ihren Willen aufzuzwingen.
Als sie endlich das abgedunkelte Herrenhaus betreten hatten, kamen sie an dem ultramodernen Fernsehzimmer vorbei. Die Walküren waren geradezu besessen von Spielfilmen, genauer gesagt, von allem, was modern und wechselhafter Natur war, sei es Technologie, Slang, Mode oder Videospiele.
Einige von ihnen hatten ihn inzwischen widerwillig akzeptiert, da er und Myst jetzt verheiratet waren und weil er geholfen hatte, Emmaline, einem Mitglied des Kovens, das Leben zu retten. Er hatte sogar die Erlaubnis erhalte n – durch Erpressun g – , ihr Haus zu betreten, wann immer er wollte, was ihn zum einzigen lebenden Vampir machte, der diesen legendären Ort je von innen gesehen hatte.
Hinter dem Fernsehzimmer kam die Treppe, die sie bis zum ersten Stock emporstiegen. Myst hatte ihm erklärt, dass Val Hall eine ziemlich heftige Mythenweltversion einer Wohngemeinschaft war, inklusive Zickenkrieg und dem heimlichen Entwenden scharfer Klamotten. Zu jeder beliebigen Zeit lebten hier mindestens zwanzig Walküren.
Sie blieben vor einer Tür mit einem selbst gemalten Schild stehen, auf dem stand: „Nïx’ Schlupfwinkel. Vergesst den Hun d – hütet euch vor Nïx!“ Myst
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